Kirchenburgen, Bulibaschas, Temeschwar und ein Bulz
Unbekanntes Rumänien - eine Reise durch Siebenbürgen, Banat und die Südkarpaten
„Unbekanntes Rumänien, eine Reise durch Siebenbürgen, Banat und die Südkarpaten“, so stand es auf dem Prospekt, den wir in der Vorweihnachtszeit 2017 im Briefkasten fanden. Der angeheiratete Cousin meines Mannes hatte also wieder eine besondere Busreise im Angebot. Es war sofort klar, da mussten wir mit, also gesagt, getan. Am Freitag, den 20. Juli begann unsere Abenteuerreise um 6 Uhr in der Früh in Augsburg. Mein Mann Siegfried, mein Bruder Manfred und ich waren startklar. Die Wettervorhersage für diese Woche war bestens, Sonne pur und Werte um 30 Grad erwarteten uns. Wie vor 2 Jahren, als wir ebenfalls mit Siegfrieds Kusine und Mann den Norden Rumäniens bereisten, waren wir bestens vorbereitet: mein rudimentäres Rumänisch hatte ich aufgefrischt, gute Laune und für den Notfall einen Zwetter hatten wir im Gepäck.
Von Augsburg fuhren wir, insgesamt 17 Personen, über München, Wien, Györ, Budapest bis Szeged, wo wir übernachteten. Am nächsten Morgen ging es weiter Richtung Osten auf der Autobahn, an Arad vorbei nach Deva und dann auf der Landstraße nach Schäßburg. Dort war unser Quartier für die kommenden 4 Nächte. Nach dem langen Sitzen im Bus freuten wir uns auf einen Abendspaziergang in die Stadt. Über einige steile Treppen gelangten wir in die Oberstadt zum Stundturm, an Draculas angeblichem Geburtshaus vorbei auf den Burgplatz. Spätestens da wussten wir, warum Schäßburg auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste steht. Ich kam mir vor wie in einer anderen Zeit. Es war märchenhaft. Ohne die dort herumstehenden Autos hätte es mich nicht gewundert, wenn noble Kutschen über das Kopfsteinpflaster geholpert und hohe Herrschaften mit ihrer Dienerschaft herumspaziert wären. Eine so geschlossene, komplett von alten Mauern umgebene Stadt, die sehr schön wieder hergerichtet worden war, hätten wir nicht erwartet. Leider wurde es schon bald dunkel, aber am nächsten Tag stand noch eine Führung durch Schäßburg auf dem Programm.
Unser Führer Christian, der sich als eine Mischung aus deutsch, ungarisch und rumänisch bezeichnete, führte uns durch alle Stationen unserer Reise. Und das war ein großer Gewinn, denn er wusste alles, wirklich alles. Jede Jahreszahl, jedes historische Ereignis, Fragen zur Jetztzeit, egal was wir wissen wollten, er wusste es. Obwohl er aus Bukarest kommt, kennt er auch Billed. Er hat Politik und katholische Theologie studiert, unter anderem auch in Temeschwar und hatte auch Kontakt zum Pfarrer in Billed. Wie klein die Welt doch ist.
Nun erklärte er uns diese tolle Stadt mit ihrer evangelischen Kirche, in der auch wertvolle orientalische Teppiche aus dem 16. Jahrhundert hingen, die siebenbürgische Kaufleute der Kirche geschenkt hatten. Solche Teppiche gibt es nahezu in jeder Kirche in Siebenbürgen. Christian erklärte uns den Stundturm mit seinem Glockenspiel, das Haus zum Hirschen mit dem Hirschgeweih an der Hausecke, die verschiedenen Bürgerhäuser und die verschiedenen Zunfttürme, z.B. den Schusterturm, den Schneiderturm und den Kürschnerturm.
Am Nachmittag fuhren wir weiter nach Birthälm, heute Biertan, um die dortige Kirchenburg, die auch auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste steht, zu besichtigen. Wir fuhren durch das Blumendorf Danes, das ausgesprochen schön mit Blumen bepflanzt war, weiter durch Brateu, ein Zigeunerdorf. Hier standen die Roma am Straßenrand und boten ihre Kupfersachen an. Unser Führer erklärte uns, dass die Zigeuner in Siebenbürgen die breitkrempigen Hüte der Siebenbürger Sachsen übernommen haben. Und tatsächlich sahen wir Männer mit diesen Hüten, wahrscheinlich auch einige Bulibaschas, so heißen die Anführer der Zigeunersippen. Aus dem Bus heraus konnten wir schöne Kupferkannen und Kupferkessel erkennen, aber es empfiehlt sich nicht, dort zu halten, wenn man nicht kaufen, sondern nur schauen möchte. In Biertan steht die Kirchenburg mitten im Ort. Durch eine lange überdachte Treppe gelangten wir auf das Gelände der inneren Kirchenburg. Diese Befestigungsanlage besteht aus drei Mauerringen sowie drei Türmen, unter anderem auch dem Speckturm. Die Kirchenburgen dienten als Zufluchtsort der Siebenbürger Sachsen, wenn die Türken oder Tataren angriffen. Sie waren in der Regel so groß, dass die Einwohner des Dorfes und der Proviant, um diese harten Zeiten zu überstehen, darin Platz hatten. Was dann wohl im Speckturm aufbewahrt wurde, lässt sich leicht erahnen. Im Mittelpunkt der Anlage steht die Kirche aus dem 15. Jahrhundert.
Auch hier befinden sich kostbare alte orientalische Teppiche. Ein Kuriosum in der Kirchenburg von Birthälm ist das Ehegefängnis, in das zerstrittene Paare so lange eingesperrt wurden bis sie sich versöhnt hatten oder nur noch einer übrig geblieben war. Am Platz vor der Kirchenburg befindet sich das Gästehaus von Prinz Charles, der auch immer wieder mal vor Ort ist.
Als wir auf diesem Platz Kaffeepause machten, kam ein 9jähriger Junge auf uns zu und erzählte in einem wirklich guten Deutsch über sich und die Schule. Er nutzte diese Gelegenheit, um Deutsch zu sprechen, das er erst seit eineinhalb Jahren lernte. Er war vollkommen unbefangen und wir waren erstaunt wie gut er sprechen konnte und sich getraut hat uns anzusprechen.
Danach fuhren wir weiter nach Mediasch und besichtigten die nette Innenstadt mit dem schiefen Turm der Stadt, der sich tatsächlich beträchtlich neigt. Mediasch wird auch als Stadt der Särge bezeichnet. Denn dort gibt es überdurchschnittlich viele Bestattungsunternehmen, wohl auch wegen der Nähe zu den umweltverseuchten Dörfern. Unser Führer erklärte uns, dass es schon vorgekommen sei, dass Bestatter mit Särgen am Straßenrand standen und die Särge zu Discountpreisen anboten.
Am Montag stand die Besichtigung von Hermannstadt auf dem Programm. Wir hatten schon so viel von dieser Stadt gehört, so dass wir sehr gespannt waren, ob sie wirklich so beeindruckend sein würde. Auf dem Weg dorthin kamen wir durch Copșa Mică, ein Dorf in dem einst eine Rußfabrik stand, die für eine unfassbare Luftverschmutzung verantwortlich war und durch die es viele Kranke und Tote gegeben hatte. Es war die Stadt mit der größten Umweltverschmutzung Europas. Die Stadt war immer schwarz vom Ruß und durch die Buntmetallhütte auch an diesem Ort gab es noch mehr Gift. Es war nicht sichtbar dafür aber umso schrecklicher. Noch 1993 war die Luftverschmutzung durch Schwermetalle 600 Mal höher als gesetzlich erlaubt.
In Hermannstadt begann dann am Marktplatz unsere Führung durch eine tolle, super hergerichtete Innenstadt. Christian zeigte uns das Rathaus, von wo einst Klaus Johannis die Stadt regierte und für ihren Aufstieg gesorgt hat. Das schöne Brukenthal-Palais steht dort ebenso wie die katholische Stadtpfarrkirche, die die Habsburger im 18. Jahrhundert vor die evangelische Kirche bauen ließen, obwohl es doch wesentlich mehr evangelische als katholische Einwohner gab.
Sehr gefallen haben uns auch die sogenannten Augenhäuser, diese Häuser haben im Dach Luken, die wie Augen aussehen. Über die Lügenbrücke gingen wir auf die Piaţa Huet. Wenn jemand einmal gelogen hat und über die Brücke geht, so geht die Sage, stürzt die Brücke ein. Aber das ist bisher noch nie passiert, denn kein Mensch hat in seinem Leben nur einmal gelogen.
Auf der Piaţa Huet befindet sich das Brukenthal-Gymnasium, in dem noch heute auf Deutsch unterrichtet wird, auch wenn es kaum mehr deutsche Schüler gibt. Dieses Gymnasium hat bis heute einen ausgezeichneten Ruf. Dort hat Klaus Johannis Physik unterrichtet bevor er in die Politik gegangen ist. Neben der Schule befinden sich die evangelische Stadtpfarrkirche und das Gesellenhaus, in dem immer noch Gesellen auf der Wanderschaft Halt machen. An der Schillerbuchhandlung, die noch heute deutschsprachige Literatur anbietet, vorbei, gingen wir ins Restaurant „Crama Sibiana“ und aßen „Bulz Haiducesc“: Mămăligă mit Brinze in der Mitte, Sauerrahm und Spiegelei. Es gibt verschiedene Rezepte für Bulz, man kann z.B. auch Wurst oder Fleisch in den Mămăligă-Kloß geben. Beim Bulz Haiducesc muss ein Spiegelei dabei sein.
Auf dem Markt von Hermannstadt bewunderten wir Pardeis, Omorte, weiße Bohne un Walniss in Hülle und Fülle. Als ich auf Rumänisch weiße Bohnen verlangte und fragte ob sie aus der Gegend kommen, hat die Marktfrau mir einen langen Vortrag über ihre Bohnen gehalten, aber ich habe leider nur wenig verstanden.
Auf dem Rückweg nach Schäßburg kamen wir durch viele ehemals deutsche Dörfer, die alle auf Rumänisch und Deutsch auf den Straßenschildern verzeichnet sind. Manche sind schön hergerichtet, andere ziemlich heruntergekommen. In Treppold gibt es ein Aussteuertruhenmuseum, das größte seiner Art weltweit. Wir fragten uns, ob sich wohl jemand in diese Gegend und das Museum verirrt, soweit ab vom Schuss.
Am Dienstag ging es dann weiter nach Kronstadt durch das Hafner Land. Im Dorf Saschiz konnten wir auf einem Hügel eine Bauernburg entdecken. Diese Burgen wurden nicht vom Adel, sondern von den Bauern gebaut, als Zufluchtsort bei Angriffen der Türken.
Im Gebirgszug der Südkarpaten befindet sich die größte Bärenpopulation Europas. Einige wurden abgeschossen, andere hat man in weit entlegene Gebiete der Karpaten gebracht, denn sie waren schon bis in die Außenbezirke von Kronstadt vorgedrungen. Über den Persau-Paß ging die Fahrt weiter ins Burzenland und durch Marienburg. Hier hatte der Deutsche Orden seine erste Ansiedlung. Sie bestand aber nur 7 Jahre lang, da der Orden dem ungarischen König zu mächtig geworden war. Danach zog der Deutsche Orden nach Ostpreußen weiter, wo er sich sehr schnell etablierte.
Als wir in Kronstadt angekommen waren, fuhren wir erst mit der Seilbahn auf den Hausberg Tampa. Von dort hat man einen atemberaubend schönen Blick auf die Altstadt von Kronstadt. Als wir wieder unten waren, begann auf der Piaţa Sfatului die Stadtführung. Hier steht das Alte Rathaus majestätisch auf dem sehr großen Platz. Danach besichtigten wir die Schwarze Kirche aus dem 15. Jahrhundert, neben der ein Denkmal von Johannes Honterus steht, der die Reformation in Siebenbürgen einführte und nach dem das sehr renommierte gleich daneben liegende deutsche Honterus-Gymnasium benannt wurde.
An der Schwarzen Kirche, die seit einer gewaltigen Feuersbrunst im Jahr 1689 so genannt wird, sieht man noch heute Einschusslöcher von der Revolution 1989. Diese große gotische Kirche hat allerdings einen eher nicht so hohen Kirchturm, das liegt an den doch relativ häufigen Erdbeben in dieser Region. Trotzdem ist diese Kirche die größte in Siebenbürgen. Auch in ihr hängen wieder sehr wertvolle orientalische Teppiche. Es soll angeblich die größte Sammlung außerhalb der Türkei sein.
Dann spazierten wir durch die Stadt und aßen an einem Stand „Găluște cu prune“, das sind süße Pflaumenbällchen, die uns gut geschmeckt haben. Auf der Rückfahrt fuhren wir noch durch Honigberg und besichtigten die dortige strahlend weiße Kirchenburg, die eine der am besten erhaltenen Kirchenburgen Siebenbürgens ist.
Am Mittwoch verließen wir Siebenbürgen in Richtung Banat. Unser nächstes Ziel war Temeschwar. Wir fuhren auch durch Großprobstdorf, wo es in den 30er Jahren eine Gasflamme an einer Erdgasquelle gab, die sieben Jahre brannte, ohne dass man sie löschen konnte. Da wir ab Deva auf der neuen Autobahn fuhren, haben wir leider nicht so viele Ortschaften im Banat gesehen. Lediglich durch Jahrmarkt sind wir durchgefahren, dem Heimatort meiner Schwendner-Oma.
In Temeschwar stiegen wir an der Piaţa Ionel Brateanu aus. Hier besichtigten wir gleich die Festung im Vauban-Stil, die die Habsburger im 18. Jahrhundert anlegen ließen. Über die Strada Polona kamen wir zum Einheitsplatz.
Wir waren begeistert von diesem sehr schön gestalteten Platz mit dem Dom, der Pestsäule, dem serbischen Bischofspalast und dem Kunstmuseum im Barockpalais. Die Sonne schien von einem klaren blauen Himmel auf diesen Platz und ließ ihn erstrahlen. Vorbei an der Synagoge gingen wir zum Freiheitsplatz mit dem Militärkasino, dem alten Rathaus und dem Standbild der Heiligen Maria und des Heiligen Nepomuk. Auch dieser großzügige Platz beeindruckte uns. Dann gelangten wir auf die Piaţa Victoriei, wo das Theater und die rumänische Kathedrale stehen, die durch einen kleinen Park mit Blumenbeeten verbunden sind.
Das Theater von Temeschwar wurde von den Architekten Helmer und Fellner im 19. Jahrhundert erbaut. Und genau diese Wiener Architekten haben auch das Theater in Fürth, meiner zweiten Heimatstadt, gebaut. Das Hunyadi-Schloss in der Nähe des Theaters beherbergt das Banater Museum. Es ist aber momentan wegen Renovierung geschlossen. Wir besichtigten dann auch die orthodoxe Kathedrale, die mit 83 Metern die höchste Kirche Rumäniens ist.
Christian erklärte uns die wechselvolle Geschichte Temeschwars und zeigte uns die Stelle, an der Prinz Eugen am 18.10.1716 nach dem Sieg gegen die Türken in die Stadt eingeritten war. Den Tag ließen wir im Symphony Cafe beim Theater bei einem Cocktail ausklingen und genossen den lauschigen Abend mit toller Beleuchtung des ganzen Platzes.
Ich war in den 70er Jahren schon in Temeschear gewesen und auch ganz kurz Anfang der 2000er Jahre. Aber ich hatte die Stadt nicht so schön in Erinnerung. Natürlich ist in den letzten 20 Jahren viel passiert in der Stadt. Es gibt viele Festivals und Musikveranstaltungen und junge Leute bevölkern die Stadt. Uns hat die Atmosphäre gut gefallen und ich war überrascht in welch schöner Stadt ich geboren bin.
Am Donnerstag nahmen wir Abschied von Temeschwar und fuhren auf der Autobahn Richtung Wien. Leider hatten wir keine Zeit durch Billed zu fahren. Das war wirklich schade, aber es war von Anfang an klar, dass es nicht klappen würde.
Wir machten noch einen Halt in Budapest, wo wir das Parlament besichtigten, ein sehr beeindruckender Bau aus dem 19. Jahrhundert im Zuckerbäckerstil. Und hatten dann noch Zeit in der sehr sehenswerten Markthalle ungarische Spezialitäten zu kaufen. Wir übernachteten noch in Györ und fuhren am Freitag zurück nach Augsburg.
Es war eine anstrengende, aber unglaublich interessante Reise gewesen. Unser Führer hat uns seine Heimat näher gebracht und uns ihre Schönheiten gezeigt, ohne zu verschweigen wo es noch gehörig hapert. Endlich hatten wir Siebenbürgen kennengelernt und ich habe meine Geburtsstadt neu entdecken können.
Es war ein tolles Erlebnis.
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