Allerheiligen 2020 in Karlsruhe und Billed
Abbildung oben: Allerheiligenfeier 2020 am Billeder Denkmal in Karlsruhe
Gedenkrede von Karin Müller-Franzen
Liebe Landsleute,
sehr geehrt fühlte ich mich vor zwei Jahren, als mich Werner Gilde angesprochen hat, im Namen der HOG Neubeschenowa an Allerheiligen nach Karlsruhe zu kommen und hier eine Ansprache zu halten. Noch mehr beeindruckt war ich von dem Ritual, das die HOG Billed alljährlich am Gedenkstein in Karlsruhe zu Allerheiligen plant, gestaltet und durchführt. Meine mit Dank erfüllte Hochachtung ergeht an Werner Gilde als Vertreter der gesamten HOG Billed. Ludwig Thoma sagte: „Es gibt Berge, über die man hinüber muss, sonst geht der Weg nicht weiter.“ Das Corona-Virus hat die ganze Welt fest im Griff, dies sehe ich als Berg. Um ihn überqueren zu können, hat sich eine Möglichkeit gefunden, bei Ihnen zu sein, wenn auch nicht persönlich.
Im Namen der HOG Beschenowa und ihrem Vorsitzenden Ewald Müller begrüße ich alle Banater Landsleute und ihre Angehörigen und bedanke mich dafür, dass ich bei dieser Feierlichkeit mitgestalten darf.
Auch in diesen besonderen Zeiten möchten wir unserer Toten in der alten und neuen Heimat gedenken. Wir alle haben jemanden in der Heimat verloren oder zurückgelassen. Viele von uns haben das Land, welches wir gewählt haben, als neue Heimat ins Herz geschlossen, ganz nach dem Motto: Heimat ist dort, wo die Familie ist, wo die Freunde sind, die über schwere Zeiten hinweghelfen, gerade in diesen schweren Zeiten sind arm jene ohne Freunde, aber reich jene, die Freunde, Familie und Landsleute haben, mit den gleichen Werten, der gleichen Gesinnung, den gleichen Erinnerungen. In der neuen Heimat wollten wir zuerst materielle Stabilität erreichen, aberje mehr Jahre vergingen, umso mehr gewinnen wir die Erkenntnis, dass die inneren Werte: Freundlichkeit, Sicherheit, Zugewandtheit mehr Bedeutung haben als die materiellen Werte. Deshalb ist es uns so wichtig, dass wir uns hier zusammenfinden und gemeinsam unserer Verstorbenen gedenken. Sie sind nicht vergessen, sie sind uns nur vorausgegangen. Bestimmt kennt ihr auch die Situation, dass man bei einer Familienfeier über die Altvordern spricht, Anekdoten erzählt oder der schweren Zeit gedenkt, die sie in der Russland-Verschleppung oder im Baragan erlebt haben.
Lasst uns eine Schweigeminute einlegen und uns an unsere Verstorbenen erinnern.
„Die Zeit bewegt sich in eine Richtung, Erinnerungen in eine andere.“, sagt William Gibson, ein amerikanischer Autor. Wer hätte gedacht, dass sich die Zeit soweit fortbewegt, dass wir alle Zeugen einer Veränderung wurden, die es ermöglichte, dass ein Schwarzwälder junger Mann, Dominic Fritz, Bürgermeister unserer alten Kreisstadt Temeswar wurde. Der Schwarzwald ist das Ursprungsland vieler unserer im 18. Jahrhundert ins Banat ausgewanderten Ahnen. Für mich schließt sich ein Kreis. Die Vorboten durch den deutschstämmigen Präsidenten Rumäniens, Klaus Johannis, haben die Veränderungen angekündigt, doch, dass Europa tatsächlich positiv gelebt werden kann, haben bestimmt viele bezweifelt. Wir hoffen, dass Dominic Fritz der Stadt Temeswar und seinen Bürgern, im Speziellen unseren dort verbliebenen deutschen Landsleuten, Glück und Wohlstand durch Augenmaß und weise Entschlüsse bringt.
Die neuen Technologien geben uns die Möglichkeiten, weiter in Kontakt zu bleiben über Telefon, E-Mail, WhatsApp oder Videokonferenzen, niemand muss alleine bleiben, wenn er die Technik verwendet. Aber der Mensch als soziales Wesen vermisst doch die Nähe, die Berührung, die Wärme – zumindest geht es mir so!
Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass das Friedhofsbuch für Neubeschenowa erschienen ist, beim Verfasser und Herausgeber, Familie Friedrich, in Mainz erworben werden kann und Näheres darüber auf unserer Homepage erwähnt wird.
Gute Reden sind kurze Reden, darum wollen wir mit dem Zitat von Erich Kästner schließen:
„Die Monate haben es eilig. Die Jahre haben es eiliger.
Und die Jahrzehnte haben es am eiligsten.
Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns.“
Wie unsere Erinnerungen wollen wir heute an Allerheiligen insbesondere unsere Ahnen und Verstorbenen in Ehren halten und ihrer gedenken, denn solange sind sie unter uns.
Predigt von Pfr. I.R. Hermann Kraus am Kreuz der Vertriebenen
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitglieder der verschiedenen Verbände der Vertriebenen, die Ihr heute wieder nicht zu den Gräbern Eurer Verstorbenen in der alten Heimat gehen könnt, - aber hier, in der neuen Heimat für sie beten könnt, dass der Vater im Himmel sie in die ewige Heimat aufnehmen wolle!
Sie merken schon: ich habe eben in einem Satz dreimal, - und jedesmal in einer neuen Richtung ,- den Begriff „H e i m a t“ verwendet. Meine Absicht, die ich damit verbinde, will ich Ihnen auch gleich sagen: da in diesem, von der Corona beherrschten Jahr, unser traditioneller „Tag der Heimat“ ausfallen muss, wollten wir heute an unserem Vertriebenen-Kreuz in Verbindung mit dem Gedenken an unsere Toten und dem Gebet für sie, wenigstens ein paar Gedanken auch unserer alten Heimat widmen.
Und damit habe ich Ihnen schon den Leitfaden an die Hand gegeben, mit dessen Hilfe Sie meinen Ausführungen in den nächsten Minuten besser folgen können. Das ist mir wichtig, denn heute ist ein besonderer Tag; ein heiliger Tag; der Tag „Aller- Heiligen“! Und bitte denken Sie nicht, weil ich evangelischer Pfarrer bin, wüsste ich nicht, was Heilige sind! Sie müssen nämlich wissen, dass ich 17 Jahre lang in Siebenbürgen in einer Kirche gepredigt habe und sie mit meiner Gemeinde von der Turmspitze bis ins Fundament renoviert habe, - und diese Kirche war ursprünglich der Heiligsten aller Heiligen, der „Mutter Gottes“ geweiht, der Heiligen Maria! Ihr zu Ehren hab ich vor 50 Jahren ganz unbefangen zum Heiligen Abend ein Ave Maria solistisch gesungen, und das war gut so! Etwa ein Drittel der älteren Frauen in der Gemeinde hießen Maria! Ich bin zur Erkenntnis gekommen: wenn ein Mensch, - egal ob nun katholisch oder evangelisch, - so eng mit seinem Glaubensvorbild (man kann ja auch sagen: einem/ einer Heiligen) zusammen leben muss, (oder kann), dann wird er immer kleiner und demütiger, weil die Größe und Erhabenheit des geistlichen Vorbildes jedem Menschen seine Grenzen aufzeigt. Du kannst Dir dann auf Dich, auf Deine Cleverness, Dein Können und Wissen, und selbst auf Deinen Glauben nichts mehr einbilden! Du bist ganz klein im Vergleich zu Deinem großen Vorbild, Deinem Heiligen!
Aber Du kannst von ihm lernen, Du kannst versuchen, ihn (den Heiligen, das Vorbild) in Deinem Leben nachzuzeichnen, Dir von seinem Glauben etwas „abzuschneiden“! Wir machen das ja schließlich jedesmal, wenn wir ein Kirchenlied singen, so. Wenn das Lied sagt: „Bei Dir, Jesu, will ich bleiben, stets in Deinem Dienste stehn; nichts soll mich von Dir vertreiben, Deine Wege will ich gehn!“, dann spricht das Lied, also mein Vorbild, von so viel Glauben und Vertrauen, wie ich das höchstwahrscheinlich gar nicht fertig bringe! Aber indem ich es mitsinge, bekenne ich mich dazu.
Es hat früher einmal eine geistliche Bewegung gegeben, die man „Imitatio Christi“ nannte. Man wollte erreichen, dass die Gläubigen so genau und so aufmerksam auf Christus (den Heiligen über allen Heiligen) schauten, dass sie ihn imitieren, also nachahmen könnten! Ein großer Gedanke! Aber jetzt sehen Sie sich einmal im Fernsehen eine Löwenmutter an, oder noch besser: eine Affenmutter, wie sie ihr Baby erzieht, und wie dieses von ihr lernt, indem es seine Mutter imitiert! Es lernt Nüsse aufklopfen, aber es wird nie beten und danken lernen! Imitatio, - das kann nicht die letzte Weisheit über den Glauben sein!
Und das kann die Heilige Schrift auch nicht gemeint haben, wenn sie uns gleich auf dem ersten Blatt von der Schöpfung in dieser urtümlichen „Verschlüsselung“ berichtet, dass Gott uns Menschen geschaffen habe, und zwar „Ihm zum Bilde“. Das heißt doch nicht, dass wir aussehen, wie Gott! Es geht da nicht um das Gesicht, die Nase oder die rechte Hand, sondern um unsere Fähigkeit, mit Gott kommunizieren zu können, in Entsprechung zu Gott leben zu können in unsern Herzen, mit Seele und Gemüt!
In dieser inneren Haltung stehen wir heute hier. Und wir suchen den Zugang zu Gottes Vaterherzen; wir bitten für alle unsere Lieben, die uns in die ewige Heimat vorausgegangen sind: Vater vergib ihnen um Christi willen, wenn sie nicht fest genug geglaubt haben und nicht stark genug geliebt haben! Schenk ihnen Heimat in Deinem ewigen Reich, weil Christus sie mit Dir versöhnt hat!
Und da ich jetzt wieder von „Heimat“ gesprochen habe, schließt sich der Kreis meiner Gedanken mit dem etwas wehmütigen Gedenken an unsere alte Heimat. Ich weiß, die Menschen sind verschieden: die einen sind Nestflüchter und hängen nicht an der Heimat, und die andern gehen kaputt, wenn sie ihre Heimat verlieren. Meine letzte Frage als sogenannter „Heimatvertriebener“ ist heute, - und die gebe ich Ihnen als Hausaufgabe mit nach Hause: Wieviel Heimat braucht der Mensch, wieviel Heimat brauchst Du? Ich habe für mich herausgefunden, dass ich 3 Heimaten (obwohl der Duden diese Mehrzahl nicht kennt!) habe:
1.
Meine alte Heimat, die mir mit der Sprache, den Sitten und Liedern und vielem mehr, meine Eigenart aufgeprägt hat. Sie wurde mir geraubt, bevor ich sie verließ; sie ist verloren.
2.
Meine neue, die aktuelle Heimat. Sie ist ein Zwischending zwischen Mutterland (lang ist`s her!) und Wahlheimat. Ich liebe sie und ich danke fast täglich meinem Gott, dass ich in Deutschland leben darf als freier Mensch und das ich mich hier in Karlsruhe heimisch fühlen kann.
3.
Meine dritte Heimat, die ewige Heimat bei Gott, die steht noch aus, aber ich rücke ihr immer deutlicher näher!
Fast glaub ich, dass diese Feststellung auch auf viele von Euch zutrifft; wir sind auf dem gleichen Weg. So möge dieser heutige Festtag uns nicht nur erinnern an das, was war, und auch an die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit unseres Lebens, sondern auch an das was bleiben wird, nämlich die Verlässlichkeit, die Liebe und Treue unseres Vaters im Himmel. So gesehen, können wir getrost den heutigen Tag betrachten als den ersten Tag vom Rest unseres Lebens! A m e n .
Gottes Friede sei mit euch, Gottes Segen begleite euch!
Allerheiligen auf dem Karlsruher Hauptfriedhof und in Billed auf dem Neugässer Friedhof
Goldenes Laub allüberall – auch dort, wo manch einer es sich nicht wünschte – und frostverschonte Blumen in voller Pracht: Allerheiligen in Karlsruhe, wie auch in Billed. Der Unterschied lag allein im Wetter: Während es hier am Morgen sogar regnete, war es dort sonnig und warm, wie in den meisten Jahren zur Gedenkzeit an die lieben Toten. Zum Glück erbarmte sich die Natur auch hier, der Regen hörte auf, nur noch ein böiger Wind erschwerte das Kerzen-Anzünden und ihr Brennen.
Zur Gedenkfeier am Billeder Gedenkstein um 14 Uhr fanden sich gemäß BP-Anzeige diesmal scheinbar weniger die Corona-Gefährdeten, sondern mehr Jüngere ein, zwar mit Maske und auf Abstand, vielleicht auch etwas weniger.
Werner Gilde, Vorsitzender der HOG Billed hatte organisatorisch dafür gesorgt, dass die Feier im üblichen Rahmen verlief, auch wenn kein Chor live da war, auch kein Bläser-Quartett. Dafür gab es die aufgenommenen Billeder Kirchenlieder per Lautsprecher. Mich persönlich haben „Die Glocken der Heimat“ am tiefsten berührt.
Allerheiligen aus der Perspektive der jüngeren Generation präsentierte Melanie Bednar in einem Gedicht.
Werner Tobias verlas, in Vertetung des unlängst verstorbenen Josef Herbst, die sehr lange Liste der seit dem vorigen Allerheiligen- Gedenktag aus dem Leben Geschiedenen. Ihnen und allen vorher Verstorbenen, sowie den noch Lebenden, galten – wie jedes Jahr - die von Elisabeth Luckhaub dargebotenen Fürbitten wie auch die Gebete der versammelten Landsleute.
Es war diesmal eine stillere, aber nicht weniger feierliche Gedenkstunde für all unsere dahingegangenen Lieben. Das ewige Licht leuchte ihnen!
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