Auswanderungen aus dem Veischedetal in das österreichisch-ungarische Banat 1763 – 1788
Abbildung oben: Panoramablick auf Grevenbrück von Dr. Hans Wiechers / CC BY-SA
Vorwort - von Walter Stupperich
Gerne komme ich dem Wunsch des Vorstandes der Heimatortsgemeinschaft Billed e.V. nach, meinen Artikel über die Auswanderungen aus dem Veischedetal, in dem der Verfasser wohnt, im Billeder Heimatblatt 2020 zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung soll auch gleichzeitig ein Dank sein an den Vorsitzenden der HOG, Herrn Werner Gilde, der mich bei meinen Recherchen sehr unterstützte.
Dieser Beitrag über die Auswanderungen wurde von mir verfasst zur Veröffentlichung in den „Südsauerland – Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe“. Er erschien in dieser Vierteljahreszeitschrift in den Heften 1 – 3 /2020, Folgen 278 – 280. Der Grund für meine Arbeit war die 1000-Jahrfeier des Ortes Kirchveischede, dem Mittelpunkt des Veischedetales, aus dem seinerzeit sehr viele Auswanderer in das Banat zogen. Ich wollte mit dieser Veröffentlichung den Bewohnern des Veischedetales vor Augen führen, wie die wirtschaftliche Situation vor 250 Jahren im hiesigen Raum war, die so viele Einwohner bewog, in ein fremdes und unbekanntes Land zu ziehen. Es war mein Bestreben, den heimischen Lesern aber auch vor Augen zu führen, in was für ein Land diese Menschen damals zogen. Es erwartete sie nicht nur ein „Land, wo Milch und Honig flossen“ sondern auch ein Land mit viel Leid und einem großen Sterben.
Das Veischedetal liegt im südlichen Teil von Nordrhein-Westfalen, dem Sauerland. Die Veischede, ein kleines Flüsschen mit einer Länge von 16,5 km entspringt oberhalb Oberveischede und mündet bei Grevenbrück in die Lenne. Der Ort Bilstein mit seiner Burg war über Jahrhunderte hinweg Sitz der Regierenden, die über Teile des südlichen Westfalens herrschten. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts waren es die Edelherren von Gevore, die hier die oberste Gerichtsbarkeit ausübten. Später kam Bilstein unter die Herrschaft Kurkölns. Mit der Übergang des Herzogtums Westfalens von Hessen-Darmstadt an Preußen wurde dieses Gebiet dem Regierungsbezirk Arnsberg in der Provinz Westfalen zugeordnet. Einer der neu gebildeten Kreise hatte 1817 seinen Sitz in Bilstein. Der Sitz des Kreises wurde aber 1819 dann nach Olpe verlegt.
Wie der bekannte Banat-Forscher Friedhelm Treude festgestellt hat, sollen es wohl um die 2000 Personen gewesen sein, die sich seinerzeit in das Banat aufmachten, um eine neue Heimat zu finden. Insbesondere war Billed ein Ort, das vielen Auswanderern damals zur Ansiedlung zugewiesen wurde. Zeugnis hiervon geben sowohl die von Treude erstellte Tabelle über die Sauerländer Erstsiedler in der „Sauerländer Gasse“ von Billed, als auch der von Wilhelm Weber erstellte Dorfplan von Billed aus dem Jahr 1774 mit den von Sauerländern in Billed bewohnten Häusern.
Möge dieser Artikel auch ein Beweis sein für die Nachkommen der Sauerländer Siedler aus dem Veischedetal, die sich eventuell in ihrer HOG Billed zusammengefunden haben, dass sie und ihre Vorfahren hier im Land ihrer Ahnen nicht vergessen sind.
Einführung
1.000 Jahre Kirchveischede! Der Ort feierte in 2019 die erste urkundliche Erwähnung im Jahre 1019. Der ehemalige Kreisheimatpfleger Günther Becker hatte die entsprechende Urkunde in den Akten der Abtei Köln-Deutz entdeckt. Für das Dorf war das Grund genug, dieses Jubiläum groß zu feiern. Zwischenzeitlich hat sich Kirchveischede - mittlerweile ein Ortsteil der Stadt Lennestadt (Kreis Olpe) - zu einem rund 1.000-Einwohner-Gemeinde entwickelt.
Aber nicht nur der Ort Kirchveischede, sondern auch die beiden Nachbarorte im Tal der Veischede, Bilstein und Oberveischede, haben eine durchweg positive Entwicklung in den letzten Jahrhunderten gemacht. So zählt Bilstein, ebenso wie Kirchveischede ein Ortsteil von Lennestadt, derzeit rund 1.100 Einwohner. Oberveischede gehört zur Stadt Olpe und hat rund 800 Einwohner.
Alle drei Orte des Veischedetales haben eine hervorragende Infrastruktur und ein sehr gutes Touristikmanagement. Heimische Firmen und Gewerbebetriebe sind Zugkräfte und sorgen für eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung. Das war nicht immer so!
Rund 250 Jahre ist es her, dass Menschen aus den kurkölnischen, luxemburgischen, trierischen und kurmainzischen Gebieten ihre Heimat verließen, um sich im österreichisch-ungarischen Banat anzusiedeln. Auch aus unserer Region, dem Veischedetal, machten sich viele auf den Weg, um dort ihr Glück zu versuchen. Wenngleich auch der Großteil der Banat-Auswanderer aus Süddeutschland kam, so war doch die Auswanderungsgeneigtheit im damaligen Herzogtum Westfalen nicht unerheblich. Das Schwergewicht der Wanderungsbewegung lag hier im Süden des Sauerlandes.1 Der Raum Olpe/Drolshagen stellte mit seinen vielen kleinen Ortschaften einen beträchtlichen Anteil. Über das Veischede- und Repetal gab es dann eine Verbindung zu den Räumen Oberhundem/Hochsauerland, die einen weiteren Schwerpunkt bildeten. Insgesamt sollen es wohl um die 2.000 Personen aus dem Sauerland gewesen sein, die sich im Banat ansiedelten.
Was war das für ein Land, das in jener Zeit so magisch die Auswanderer anzog? Friedhelm Treude schreibt dazu: „Im Frieden von Passarowitz wurde 1718 das Banat, d.h. jener Teil der niederungarischen Tiefebene, der durch die Flüsse Marosch im Norden, Theiß im Westen und Donau im Süden sowie die Ausläufer der Südkarpaten im Osten begrenzt wird, nach 164jähriger Türkenherrschaft von Österreich in Besitz genommen. Bis zur Rückgabe an Ungarn 1778 wurde es (…) als kamerale Reichsprovinz von Wien aus verwaltet; von hier aus wurde der Wiederaufbau des verwüsteten und entvölkerten Landes getreu den Grundsätzen des deutschen Merkantilismus betrieben; nur über eine Vermehrung der Bevölkerung war die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und damit die Macht des Staates zu steigern. Eine schnelle und umfassende „Populierung“ musste daher im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen. Die damit eingeleitete Besiedlung und gleichzeitige Entwicklung von einem gänzlich verwahrlosten Landstrich zu einer der Kornkammern Europas vollzog sich in drei deutlich voneinander abgesetzten Abschnitten.“2
Im Rahmen der „Karolinischen3 Banatbesiedlung“ kamen im sogenannten „1. Schwabenzug“ 1722 – 1726 rund 15.000 deutsche Siedler aus den Kleinstaaten West- und Südwestdeutschlands in das Banat. Man holte sich aber auch Bulgaren, Spanier und Italiener. Einen empfindlichen Rückschlag erhielt das Aufbauwerk durch den Türkeneinfall von 1737/39 und den gleichzeitigen Ausbruch einer Pestepidemie. Soweit die Siedler nicht umkamen, räumten sie fluchtartig ihre Dörfer. Die Thronbesteigung Maria Theresias 1740 leitete die zweite, die sogenannte „Theresianische Banatbesiedlung“ (1740 –1778) ein. Ihren Höhepunkt erreichte die Einwanderung dieser Periode im „2. oder Großen Schwabenzug“ (1763 – 1772), durch den rund 40.000 Deutsche ins Banat gelangten.
Nach der Rückgliederung des Banats in den ungarischen Staatsverband 1778 erfolgte im Zuge der „Josefinischen4 Ansiedlung“ der „3. Schwabenzug“. Die Zuwanderung von Deutschen fiel aber zahlenmäßig nicht mehr so stark ins Gewicht.
Der Begriff „Schwabenzüge“ für die umfangreichen Siedlerströme in das Banat hat sich eingebürgert, obwohl nur sehr wenige Aussiedler wirklich aus Schwaben kamen. Die Bezeichnung wurde von dem Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn geprägt und hat sich seitdem im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt. Die Bezeichnung „Schwabe“ für einen Deutschen ist auch heute noch auf dem Balkan sehr verbreitet.
1 Treude, Friedhelm: Die Auswanderungen aus dem kurkölnischen Sauerland im Zuge der theresianischen Banatbesiedlung 1763 – 1772, S. 11ff (Schriftenreihe des Kreises Olpe Nr. 14).
2 Ebenda, S. 1ff.
3 Benannt nach Karl VI., 1711 bis 1740 römisch-deutscher Kaiser und Erzherzog von Österreich und Herrscher über die anderen habsburgischen Erblande
4 Josef II., Sohn Maria Theresias, von 1765 – 1780 Mitregent, 1780 – 1790 römisch-deutscher Kaiser
Literatur und Dokumente
Den zentralen Registrierungen aller Auswanderer in das Banat ist es zu verdanken, dass mit ziemlicher Sicherheit die Namen des größten Teiles der Einwanderungswilligen des zweiten theresianischen Siedlungsabschnittes im Jahre 1763 erhalten geblieben sind. Ab 1764 wurde gemäß Hofkammerbefehl zudem noch der frühere Wohnort des Einwanderers festgehalten. Eine weitere wichtige Zugabe erfuhren die Listen, als seit dem 1. Mai 1768 dem Namen des auswandernden Familienvaters dessen Beruf und die Kopfzahl aller mitauswandernden Mitglieder der Familie hinzugesetzt wurden. Eine Auswertung dieser „Wiener Listen“ nahmen im Auftrage der Deutschen Akademie und des Gesamtvereines der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine im Jahr 1936 Dr. Franz Wilhelm und Dr. Josef Kallbrunner vor; die Auswertung wurde unter dem Titel „Quellen zur deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa“ veröffentlicht.5 Dieses Buch ist das Standardwerk der Banatforschung. Die in diesem Werk erfassten deutschen Siedler haben alle eine separate Kenn-Nummer. Diese besteht aus der Seitenzahl des Buches und der lfd. Nummer, davorgesetzt „WK“ (für: Wilhelm u. Kallbrunner).
Ein weiteres Standardwerk für die Banatforschung der Sauerländer ist neben der Dokumentation von Wilhelm und Kallbrunner natürlich das Werk von Friedhelm Treude zur Auswanderung aus dem kurkölnischen Sauerland: „Die Auswanderung aus dem kurkölnischen Sauerland im Zuge der theresianischen Banatbesiedlung 1763 – 1772.“ (s. Fußnote 1). Treude legt hier die wissenschaftliche Arbeit seines Vaters Friedhelm Treude aus den Jahren 1938/39 vor mit nur wenigen erforderlichen Veränderungen. Treude nimmt bei seinen akribischen Ausführungen über die Ansiedlung im Banat in den Jahren 1763 bis 1772 immer Bezug auf die Banater Kirchenbücher, die 1940 von seinem Vater Friedhelm Treude im jugoslawischen und rumänischen Banat fotografiert wurden. In den letzten Jahren haben nun etliche Familienforscher aus dem Banat, die wohl überwiegend jetzt in Deutschland ansässig sind, für die zahlreichen Orte der früheren deutschen Siedlungsgebiete eigene Ortsfamilienbücher auf Grundlage der Kirchenbucheintragungen erstellt. Zwischen diesen neueren Ortsfamilienbücher und den Erfassungen von Treude bestehen leider oft unterschiedliche Auslegungen bzw. Angaben. Um sicher zu gehen, sollte der interessierte Forscher die verfilmten Banater Kirchenbücher selbst einsehen, die in Kopie im Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in 70173 Stuttgart, Charlottenplatz 17, vorhanden sind.
Von großer Wichtigkeit für jeden Banatforscher ist weiterhin das neunbändige Werk von Stefan Stader „Sammelwerk donauschwäbischer Kolonisten“; dieses umfangreiche Werk ist weltweit einmalig in der Familienforschung. Stefan Stader legte anhand des umfangreichen Materials an Listen und Aufzeichnungen eine donauschwäbische Gesamtkartei an, in der er für jeden erfassten Einwanderer eine Karteikarte anlegte, in der er alle bekannten Daten aus der alten und der neuen Heimat festhielt.
Neben den Einwanderungslisten gibt es weitere zahlreiche Listen und Akten, die sich mit der Banat-Forschung beschäftigen, die sogenannten „Banater Akten“. Sie werden verwahrt und verwaltet vom Finanz- und Hofkammerarchiv des Österreichischen Staatsarchivs. Im Archiv der Hofkammer werden die Unterlagen über die Besiedlung des Südostens und des Nordostens der Monarchie verwahrt. Darunter befindet sich auch eine alphabetisch angelegte Ansiedlerkartei. Das Österreichische Staatsarchiv teilte aber auf Anfrage mit, „dass bei Recherchen über bestimmte Familien(namen) keine über die von Wilhelm/Kallbrunner veröffentlichten Listen hinausgehende Informationen (z.B. bezüglich des Herkunftsortes) zu erwarten sind.“6 Sicherlich besteht die Möglichkeit, in diesen Listen nach den Ansiedlungsorten der deutschen Auswanderer zu suchen. Wie das Staatsarchiv weiter mitteilt, ist bei dieser mit erheblichem Aufwand durchzuführenden Recherche, die auch mit einem negativen Ergebnis enden kann, auch mit erheblichen Kosten zu rechnen. Eine solche Recherche wäre daher meines Erachtens nur bei Nachforschungen zu einigen wenigen bestimmten Personen sinnvoll.
Weitere Listen, die für die Banat-Forschung interessant sein dürften, liegen im Ungarischen Nationalarchiv. Hier liegen die Original-Listen mit den Angaben über diejenigen Auswanderer, die im Zuge des „3. Schwabenzuges“ nach Rückgliederung des Banats in den ungarischen Staatsverband 1778 in das Banat kamen. Zu diesen Auswanderern gehört auch die höchst wahrscheinlich aus Oberveischede stammende Reisegruppe, die sich am 16. Juni 1786 in Wien registrieren ließ (s.u.).
Für eine effektive Familienforschung gehören neben den zuvor genannten Listen und Akten aus der Einwanderungszeit auch weiterführende Quellen, die zum Teil bis in die heutige Zeit reichen. Der Arbeitskreis donauschwäbischer Familienforscher e.V. (AKdFF), Sindelfingen, gegründet 1975, hat sich u.a. die Beschaffung und Erschließung der Quellen zur donauschwäbischen Familienforschung zur Aufgabe gemacht. Hervorgegangen sind nun zahlreiche Familien- und Ortssippenbücher über die vielen Banater Ortschaften, die für die Familienforschung unerlässlich sind.
Neben dem AKdFF hat sich die Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V., München, auch die Erforschung und Dokumentation der Geschichte der Banater Schwaben sowie die Brauchtumspflege zu einer seiner Aufgaben gemacht. Wertvolle Dokumente wie Aufsätze, Fotos u.a. sind eine wesentliche Hilfe bei der Erforschung Banater Familien.
5 Wilhelm, Franz; Kallbrunner, Josef: Quellen zur deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa mit einer statistischen Tabelle und einer Karte. München 1936.
6 Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Finanz- und Hofkammerarchiv, Schreiben vom 30.07.2019
Auswanderungsgründe
Was aber hat damals die Leute bewogen, sich in so großer Zahl zur Auswanderung in ein völlig unbekanntes, weit entferntes Land zu entschließen, kurzerhand ihr Bündel zu schnüren, die angestammte Heimat zu verlassen und so alle Brücken hinter sich abzubrechen? Fakt ist, dass sich seit über tausend Jahren Auswanderungen aus deutschen Landen nach Ungarn nachweisen lassen. Aber erst nach Beendigung der Türkenkriege wurde durch die Kaiserin Maria Theresia (1740 – 1780) eine groß angelegte Offensive zur Besiedlung des verwüsteten Landes eingeleitet. Sie erließ sogenannte „Ansiedlungspatente“ (zuerst 1755) in Form von Druckschriften, in welchen die Vergünstigungen und Verbindlichkeiten für die Auswanderungsinteressierten bekannt gegeben wurden. Eigene Werber mit umfassenden Vollmachten wurden eingesetzt.
Diese Berufswerber stießen mit ihren großen Versprechungen gerade auch hier im Sauerland auf große Resonanz. Den potenziellen Ansiedlern wurde eine sechsjährige Steuerfreiheit im Banat versprochen, freies Bau- und Brennholz, 24 Joch (1 Joch = 5.755 m2) Acker, 6 Joch Wiesen und 1 Joch Hausgrund. Handwerker erhielten sogar eine 10jährige Steuerfreiheit.
Im Zeitraum der Auswanderungen aus dem Veischedetal war der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763) gerade beendet. Auch unsere Region hatte unter diesem Kriege schwer zu leiden. Kurfürst Max Heinrich von Köln als Herzog des damaligen kurkölnischen Herzogtums Westfalens kämpfte auf Seiten Österreichs unter der Kaiserin Maria Theresia neben den Franzosen und den Bayern und anderen deutschen Fürsten gegen die Preußen unter ihrem König Friedrich dem Großen. Truppendurchzüge und Einquartierungen der Franzosen sowie dem Lande auferlegte schwere Schatzungen (Umlagen, Kopfsteuern) und Kontributionen steigerten das Leid bis ins Unermessliche7. Aber auch nach Beendigung des Krieges wurden zur Deckung der rückständigen erheblichen Kriegsschulden im Jahr 1764 eine abermalige Kopfsteuer sowie verschiedene indirekte Steuern erhoben. Dem Wohlstand des Landes waren auch durch die endlosen Fouragelieferungen (= Lebensmittellieferungen) schier unheilbare Wunden geschlagen8.
Dementsprechend sahen die Wohn- und Lebensverhältnisse der hiesigen Bevölkerung aus. Aus den verschiedensten Registern jener Zeit über Kopfschatz, Viehschatz oder Herd- und Rauchschatz geht zumeist hervor, dass die, die schließlich auswanderten, in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten.
Zu jener Zeit war im Sauerland, wie in ganz Westfalen, das Anerbenrecht gültig, das die geschlossene Übertragung des Grundbesitzes auf einen Erben unter Abfindung der Miterben vorsah. Der Sinn dieses Anerbenrechts lag in der Erhaltung eines Bauernhofes als Ganzes. Eine Realteilung in der Erbfolge führte zu einer fortschreitenden Zerstückelung des Anwesens. Die Höhe der Abfindung an die übrigen Erben musste auf die Leistungsfähigkeit des Hofes Rücksicht nehmen, sie konnte nie dem Wert des Kindteils bei einer Realteilung entsprechen. Je schwieriger die finanzielle Lage eines Hofes, desto bescheidener die an sich in dieser Zeit schon geringe Abfindung der Geschwister des Hoferben. Die durch den Anerben ausgeschlossenen Erben wurden zumeist weit unter dem wirklichen Wert abgefunden. Zu berücksichtigen ist auch, dass die bäuerlichen Betriebe durch die kriegerischen Auseinandersetzungen während des Siebenjährigen Krieges und auch in der Folgezeit stark in ihrer Existenz bedroht waren. Den Miterben boten sich als Alternative der Erwerb eines eigenen Betriebes durch Kauf oder Einheirat, die Arbeit als Knecht oder Magd, die Erwerbstätigkeit in einem Handwerk oder aber eben die Auswanderung in ein anderes Land an.
Die erste in dieser Zeit erkennbare Auswanderung aus Westfalen nach Ungarn fällt in die Mitte des Jahres 1764 mit fünf Familien noch zahlenmäßig gering aus. Ein geradezu sprunghaftes Anschwellen gab es dann 1765 mit 122 Familien. Den Höhepunkt der westfälischen Auswanderung brachte das Jahr 1766 mit 204 Familien. Ähnlich dem raschen Anwachsen folgte ein rasches Abschwellen der westfälischen Auswanderungsstärke. 1767 befanden sich noch 24, 1768 nur noch 21 Familien westfälischer Herkunft im großen Auswanderungsstrom.9
Die erste Auswanderungswelle hatte der Kurfürst von Köln als Landesherr von Westfalen noch hingenommen. Als aber nach der immer stärker werdenden Abwanderungsbewegung im Jahr 1765 sich doch ein drohender Bevölkerungsverlust andeutete, befasste sich die erzbischöflich-kurfürstliche Landesregierung mit den Möglichkeiten der Abwehr. Am 3. Februar 1766 erschien eine erste Verordnung gegen die westfälische Auswanderung. Von den Kanzeln wurde sie verkündet und überall angeschlagen. Der Kurfürst verordnete darin die Androhung des Einzugs eines fünften Teils des Besitzes der Emigranten, weil sich „...die junge Leuth in unserem Herzogtum Westphalen in solcher Anzahl ihr dasiges Vaterland verlassen und sich in andere fremde Lande hinbegeben, daß auf die Dauer im gantzten Lande fast kein Knecht mehr zu gehaben seyn dörfte...“, Eine Verordnung vom 12. Juli 1766 setzte die Auswanderung schließlich unter Strafe. Aufgrund der scharfen Strafbestimmungen gingen die Abwanderungen schlagartig zurück. Nur noch wenigen Familien gelang die Ausreise.
Aufgrund dieser Verordnung setzte 1766 der Baron von Fürstenberg eine Auswanderergruppe aus Oberhundem kurzzeitig fest, der sich auch Familien aus dem Veischedetal angeschlossen hatten. Später in Wien angekommen, wandten sich die Auswanderer mit einer Beschwerde und Bittschrift an die Kaiserin. Der Baron von Fürstenberg habe sie acht Tage aufgehalten und ihre „Bagage mit Gewalt hinwekgenohmen, mit Vermelden: es soll Niemand mehr in Hungarn raysen...“ Die Beschwerde hatte Erfolg. Die Hofkammer in Wien ersuchte nun die Fürstenberger, den Beschwerdestellern „das ihrige zukommen zumachen und dieselbe überhaupt zufrieden zu stellen“.10
Das Banat liegt heute im Dreiländereck Rumänien, Ungarn, Serbien, zwischen Donau, Theiß, Marosch und den Ausläufern der Südkarpaten. Es umfasst ca. 28.526 km². Nach dem Vertrag von Trianon vom 4. Juni 1920 wurde dieses geschlossene deutsche Siedlungsgebiet dreigeteilt. Der größere östliche Teil mit Temeswar und dem Arader Komitat (66,5% = 18 966 km²) kam zu Rumänien, der südliche Teil (32,5% = 9 276 km²) zum Königreich Serbien (das 1929 in Königreich Jugoslawien umbenannt wurde, heute Serbien) und der nördliche Teil Marosch – Theiswinkel (1% = 284 km²) zu Ungarn.11
7 Wiemers, Fritz: Einquartierungen im Amte Wenden während des 7-jährigen Krieges (1756 – 1763). In: HBO 14. Jahrg. Nr.5/6, (1937), S. 49ff.
8 Forck, H.: Geschichte der Stadt Olpe. 1911, S. 236
9 Treude: Auswanderungen. S. 12ff.
10 Ebenda, S. 21ff
11 Vgl. www.banater-schwaben.org
Die Auswanderungen
Die nachweislich ersten Banat-Auswanderer aus der Veischede-Region wurden am 15. März 1765 in Wien registriert. Sie kamen aus Kirchveischede. Es waren
Joannes Jostes | 1 Pers. | WK 36/31 |
Friedrich Jostes | 3 Pers. | WK 36/32 |
Joannes Coers | ? | WK 36/33 |
Valentin Bense | ? | WK 36/34 |
Mit größter Wahrscheinlichkeit gehörten sie einem größeren Treck aus dem Sauerland an, der aber erst am 25. und 27. März 1765 in Wien registriert wurde. Neben acht Familien aus Oberhundem und elf Familien aus Saalhausen kamen elf Familien aus Oberveischede.
Die Oberveischeder wurden am 27. März 1765 in Wien registriert.12 Es waren dies:
Johann Rump | 6 Pers. | WK 37/2 |
Johann Kebbekus | 2 Pers. | WK 37/3 |
Johann Heinrich Schneider | 3 Pers. | WK 37/4 |
Heinrich Springer | 2 Pers. | WK 37/6 |
Johann Peter Sieler | 3 Pers. | WK 37/7 |
Johann Roth | ? | WK 37/8 |
Jakob Rump | 10 Pers. | WK 37/9 |
Matthias Kuse | 6 Pers. | WK 37/10 |
Fridrich Hipper | ? | WK 37/11 |
Hermann Foch (Vogt) | ? | WK 37/12 |
Franz Bendre (Bender) | 2 Pers. | WK 37/13 |
Auch Bilsteiner machten sich auf den Weg in die Ferne. So langten am 30. April 1765 folgende Personen/Familien in Wien an:
Johann Fischler | WK 38/20 | |
Friedrich Bender | WK 38/20 |
Es folgten dann am 14.Mai 1765 aus Bilstein:
Alexander Bauermann | WK 39/93 |
Anton Schuhmacher | WK 39/94 |
Johann Schultz | WK 39/95 |
Johann Rulach | WK 39/96 |
Fraz Göckel | WK 39/97 |
Caspar Bruma | WK 39/98 |
Andreas Mosbauer | WK 39/99 |
Eine große Truppe aus dem Sauerland wurde in Wien am 29. Mai 1765 registriert. Aus Bilstein waren dabei
Johann Peter Korek | WK 43/34 |
Bernard Fohs | WK 43/35 |
David Vaso (Voss) | WK 44/69 |
Heinrich Fochs | WK 44/70 |
Johann Degenhart | WK 44/71 |
Auch 1766 kamen noch vereinzelte Bilsteiner, um sich im Banat niederzulassen: am 31. Mai:
Johann Weißenfels | WK 71/52 |
Johann Adam Pana | WK 71/53 |
Johann Wilhelm Nebeling | WK 71/54 |
Johann Lekers (Lucke) | WK 72/55 |
Zu dem Registrierungsvorgang in Wien ist zu bemerken, dass die Notierung der Namens- und Ortsangabe zumeist wohl nach der Phonetik erfolgte. So wurde der Joannes Coers aus Kirchveischede als „Johann Ker aus Kirchweisede“ notiert. Aus dem Ortsnamen „Bilstein“ wird in der Wiener Registrierung vielfach „Wildstein“. Der Johann Peter Sieler aus Oberveischede wird in den Banater Akten als „Johann Petersiller aus Oberfeiskede“ geführt. Zumeist setzte sich diese in Wien vorgenommene Schreibweise des Hausnamens auch bei den jeweiligen Nachkommen fort.
Ferner wurde bei dem Registrierungsvorgang auch nicht immer festgehalten, wie viele Personen einer Familie unter dem Namen des Ehemannes die Einwanderung beantragten. Es könnten zum Beispiel 10 Personen gewesen sein, wie bei Jacob Rump aus Oberveischede, oder es war vielleicht nur eine einzelne Person. Es kam bei der Registrierung auch vor, dass unter der Herkunfts-Ortsbezeichnung des Anführers bzw. Wortführers einer Gruppe auch andere Gruppenteilnehmer, die aus einem anderen Ort stammten, aufgeführt wurden. Dieses macht es besonders schwierig, tatsächlich alle Auswanderer lückenlos zu erfassen. Bei vielen Auswanderern wurde bei der Registrierung auch manchmal nur pauschal dessen Heimatgegend angegeben, wie z. B. „aus Westphalen“ oder „aus dem Kölnischen“. Bei der Ortsangabe wurde aus „Bilstein“ meist „Wildstein“ oder bei „Oberveischede“ notierte man „Oberfleischkette“ oder ähnlich. Hier in den Heimatgemeinden der Auswanderer sind nur wenige Hinweise in den Kirchenbüchern oder anderen Unterlagen über die Namen der Auswanderer bekannt.
Im März 1766 landete wieder ein Trupp aus dem Sauerland in Wien. Neben acht Familien aus Oberhundem (10. März 1766) kamen drei Familien aus Rieflinghausen und ein
Hermann Krämer aus Oberveischede | WK 54/62 |
Oberveischeder machten sich auch im Jahr 1767 auf den Weg in das Banat.13 Am 1. Dezember 1767 ließen sich in Wien registrieren
Heinrich Miller | WK 87/58 |
Johannes Schumacher | WK 87/59 |
Johannes Schmid | WK 87/60 |
Antonius Poff | WK 87/61 |
Ein halbes Jahr später, am 26. März 1768, waren es wieder elf Personen bzw. Familien aus Oberveischede, die sich in Wien anmeldeten:
Johann Hermann Gorthof | WK 91/21 |
Heinrich Schneider | WK 91/22 |
Johannes Rung (wahrscheinlich: Rump) | WK 91/23 |
Adam Hund | WK 91/24 |
Johann Heinrich Bucken | WK 91/25 |
Johannes Gebenbusch (evtl.: Kebbekus) | WK 91/26 |
Johannes Stupperich | WK 91/27 |
Hermann Huber | WK 91/28 |
Adam Schulz | WK 91/29 |
Johannes Heß | WK 91/30 |
Peter Seiler | WK 91/31 |
Diesen Auswanderergruppen aus Kirchveischede, Bilstein und Oberveischede schlossen sich in den Jahren 1765 bis 1766 auch etliche Personen resp. Familien aus Mecklinghausen, Repe, Dünschede, Helden und Niederhelden an.
Höchst bemerkenswert ist es, dass nach der Rückgliederung des Banats in den ungarischen Staatsverband 1778 weiterhin Auswanderungen auch aus der Veischede-Region zu verzeichnen sind. Die Zuwanderung von Deutschen in diesem sogenannten „3. Schwabenzug“ fiel aber zahlenmäßig nicht mehr stark ins Gewicht. Sie sind von Dr. Friedhelm Treude in seinem schon zitierten Werk auch nicht mehr erfasst worden.
Am 16. Juni 1786, also 18 Jahre später als die letzte bekannte Auswanderergruppe aus Oberveischeide, wird in Wien eine Auswanderergruppe registriert, die gemäß Banater Akten „aus dem Kölnischen“ stammt. Da es sich durchweg um seinerzeit in Oberveischede vorkommende Familiennamen handelt, nehme ich mit größter Wahrscheinlichkeit an, dass es sich hierbei um Oberveischeder Familien handelt. Sämtliche aufgeführten Familiennamen sind in der Schatzungsliste von Oberveischede aus dem Jahr 1784 enthalten. Die Auswanderer kamen zumeist mit Ehepartnern und/oder Kindern, insgesamt 25 Personen. Es wurden am 16. Juni 1786 in Wien registriert:
Kaspar Kebbekens, Bauer, 2 Pers. | WK 289/1 |
Kaspar Rumpf, Bauer, 3 Pers. | WK 289/2 |
Wilhelm Haacke, Bauer, 3 Pers. | WK 289/3 |
Johann Peter Haacke, Bauer, 1 Pers. | WK 289/4 |
Jakob Lingenhoff, Bauer, 5 Pers. | WK 289/8 |
Kaspar Hacka, Bauer, 3 Pers. | WK 289/9 |
Johann Peter Kramer, Bauer, 2 Pers. | WK 289/11 |
Kaspar Schneider, Bauer, 6 Pers. | WK 289/16 |
Sicherlich waren es die positiven Berichte aus dem Banat von den bereits Ausgewanderten, die noch einmal Einwohner aus Oberveischede bewogen, diesen Schritt nach Ungarn zu vollziehen. Möglich wäre auch, dass wieder Werber über das Land zogen, um die Menschen zu einer Auswanderung zu bewegen.
12 Wilhelm, Kallbrunner: Quellen, S. 36ff.
13 Vgl. ebenda, S. 87 u. 91.
Auszug und Wanderung
Sicher werden sich die Auswanderer ihren Schritt wohl überlegt haben. Denn er bedeutete für die meisten eine Reise ohne Wiederkehr. Der Abschied von zu Hause, von den Eltern und Verwandten und Bekannten war für immer. In kleineren und größeren Gruppen, bis zu 40 Familien, machten sie sich auf den Weg. Bekannte und Verwandte, Menschen aus benachbarten Orten, fanden sich immer zusammen. Zumeist waren es mehrere Familien aus einem bestimmten Ort, denen sich dann einige andere Auswanderungswillige aus umliegenden Ortschaften anschlossen. Aber auch im Zuge der Wanderung stießen oft andere Gruppen hinzu und schlossen sich der größeren Gruppe an.
Zu Fuß machten sich alle mit Kind und Kegel auf den großen Marsch. Sicher hatten sie zumeist Karren für Gepäck und Gerätschaften dabei. Von den Anwerbern erhielt jeder Erwachsene je Tag 6 Kreuzer, jedes Kind 2 Kreuzer Zehrgeld. Die Wanderroute der Auswanderer aus dem hiesigen Raum war nicht immer die gleiche. So zog 1766 eine Gruppe aus dem Raum Drolshagen und Rhode in Richtung Mainz. Hier schlossen sich weitere 160 Familien dem Zug an. Von dort ging die Wanderung Richtung Bamberg, Nürnberg nach Regensburg.14
Über eine andere Reisestrecke, über die sicher die Auswanderer aus dem Veischedetal zogen, berichtet ein Auswanderer, ein Mann namens Löcker aus Heinsberg, für das Jahr 1786.15 Durch das Hessische muss der Weg gegangen sein, wohl über Biedenkopf, Alsfeld, Fulda, Bamberg, Nürnberg nach Regensburg. Diese Stadt war Hauptsammelort für die Auswanderer in das Banat. Von hier aus wurde die Reise donauabwärts auf Flößen und Schiffen zunächst bis Wien fortgesetzt. Löcker berichtet dabei von 400 Personen, die seinem Treck angehörten. Die Transportmöglichkeiten auf der Donau waren beschränkt: ungleiche Wasserstände, Stromschnellen, Sandbänke und Felsen im Fahrwasser waren für tief gehende große Schiffe unüberwindbare Hindernisse. Die „Schiffe“ waren daher leichte, nur für die Talfahrt bestimmte Ruderfahrzeuge. Sie konnten je nach Größe 20, 80 oder bis zu 150 Passagiere befördern. Die auch zum Einsatz kommenden Flöße waren roh gezimmert und nicht geteert. Sie konnte man in Wien auseinandernehmen und die Holzstämme wiederverkaufen. In der Mitte trugen die Flöße eine zehn Fuß hohe hölzerne Hütte für die Aufnahme von Haushalts- oder Ackergeräten der Kolonisten. Wer mitruderte, fuhr umsonst und erhielt kostenlose Verpflegung. Die komplette Fahrt von Regensburg bis nach Wien kostete vier Gulden pro Kopf, viel Geld für die damalige Zeit, dazu noch für eine Flussreise, die nicht ohne erhebliche Gefahren war.
Zwischen 25 und 27 Tagen dauerte gewöhnlich diese erste Etappe aus dem Sauerland bis Wien. Alle Aussiedler mussten in Wien ihre Pässe vor der Weiterreise in das Banat registrieren lassen. Die Kolonisten hatten bei dieser Aktion wahrheitsgetreue Angaben über ihre Herkunft, über ihren Beruf und ihre Religionszugehörigkeit zu machen. Gab sich jemand als Bauer aus, ohne dies zu sein, wurde er ausgepeitscht und abgewiesen. Auch mit der Religion nahm man es sehr ernst. Als Kolonisten wurden nur Katholiken angenommen. Wurde jemand verdächtigt, evangelisch zu sein, wurde er mit Stockschlägen verjagt oder zum Pfarrer zu einer Katechetisierung geschickt.16
14 Stracke, Klemens: Zweihundert Jahre Kurkölner Bauern im Banat. In: HSO 63 (1966), S. 58ff.
15 Scheele, Norbert: Was Löcker aus Heinsberg 1786 über seine Reise nach Ungarn scheibt. In: HBO 12 (1935), Nr. 10/12, S. 50ff
16 Die Kolonisation des Banats nach der Türkenzeit. In: https://triebswetter.net/kolonisation.htm
Die Ansiedlung der Auswanderer im Banat
Nach der Registrierung in Wien bekamen die Auswanderer neben der Auszahlung von 6 Florin Reisegeld auch die erforderlichen Ansiedlungspässe für die Weiterfahrt. Auf Schiffen und Flößen ging es dann auf den letzten Streckenabschnitt donauabwärts über Ofen in Richtung Banat. Die Fahrt auf der unteren Donau war noch gefährlicher als die Fahrt nach Wien, da hier der Wasserweg noch weitgehend unausgebaut war. Dazu kam das ungewohnte Klima. Anhaltender Landregen wechselte mit tropischer Hitze. Sumpffieber in den Überschwemmungsgebieten und die schon erwähnten klimatischen Bedingungen führten schon während der Reise zu zahleichen Todesfällen. Wegen Seuchengefahr musste man oft im Ausbootungshafen Pantschowa eine dreiwöchige Quarantäne über sich ergehen lassen. Für die Jahre 1767 und 1768 ist bezeugt, dass nur etwa ein Drittel der Auswanderer überhaupt das Banat erreichte. Die niederschmetternden Eindrücke des Landes und die vielen Krankheitsfälle stimmten viele Siedler missmutig. Etliche Familien gaben auf und kehrten heim. Ansonsten dauerte im günstigsten Falle die Reise von Wien bis in das Banat rund 15 Tage.
Nicht alle Kolonisten, die sich in Wien hatten registrieren lassen, kamen in ihrer neuen Heimat an. Wie oben schon angedeutet, dezimierten Unglücke, Krankheit oder Tod die Reisenden. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl folgte auch den Lockungen privater ungarischer Grundherrschaften. Sie ließ sich dann in Ungarn nieder. Der Prozentsatz der durch Tod oder Privatansiedlung abgängigen Kolonisten wird auf 10 – 20 % geschätzt.17
Nach der ersehnten Ankunft machte sich oft eines breit: Enttäuschung. Das viel gerühmte Land entpuppte sich als ödes, morastiges Flachland, das erst unter Aufbietung aller Kräfte urbar gemacht werden musste. Die Ansiedlerhäuser – sehr bescheidene Bauten, die im Prinzip aus gestampftem Lehm mit Stroh- oder Schilfdächern nach ein und demselben Modell errichtet wurden – waren oft noch nicht fertig gestellt. Die Ansiedlung der ersten Familien in den Jahren 1763 bis 1765 wurde daher nicht, wie ursprünglich vorgesehen, in den durch Entwässerung siedlungsfähig gemachten Gebieten vorgenommen, sondern ausnahmslos in schon bestehenden deutschen Dörfern wie Bruckenau, Perjamosch und anderen. Mit dem Bau neuer Häuser oder Dörfer musste noch begonnen werden. Die Kolonisten wurden daher zunächst bei früheren deutschen Ansiedlern einquartiert. Bis zur Fertigstellung der eigenen Häuser dauerte es manchmal mehrere Jahre. Die Ansiedlungsbehörden zahlten den quartiergebenden Familien für die Aufnahme von Ansiedlerfamilien, die noch keine Bleibe hatten, pro Kopf und Nacht einen Kreuzer, den sogenannten „Schlafkreuzer“. Diese „Schlafkreuzer-Rechnungen“, die letztendlich Zahlungs- und Verrechnungslisten der Ansiedlerbehörden waren, sind heute wertvolle Dokumente, die aufgrund der vielen Eintragungen Auskunft geben können über sowohl die quartiergebenden Familien als auch über die neuen Ansiedler. Die Schlafkreuzer-Rechnungen sind heute Teile der „Banater Akten“, die sich im Österreichischen Staatsarchiv befinden.
Unendlich schwer hatten es die Siedler in ihrer neuen Heimat. Der völlig überwucherte Boden musste gerodet und die Sümpfe mussten entwässert werden. Am Anfang standen Not und Tod. Furchtbare Opfer forderten die Pest- und Cholera-Epidemien sowie das Sumpffieber. Bereits am Ende des ersten Jahres im Banat starben viele Einwanderer des ersten Einwanderer-Zugs. Das Sterben ging weiter in den Jahren 1767 – 1769. Schon vier Jahre später raste eine neue Seuchenwelle über die junge Siedlergemeinde. In den Jahren 1770 und 1771 waren wiederum viele Opfer zu beklagen.18 Bald zog sich das Banat einen furchtbaren Namen zu: „Grab der Deutschen“.19 Es liegt die Vermutung nahe, dass die Zahl der Aussiedler innerhalb von fünf Jahren auf fast die Hälfte seines ursprünglichen Bestandes zusammengeschmolzen war. Ein hoher Blutzoll, den die neue Heimat von ihren Kindern forderte!20 Wie der Verfasser dieser Zeilen von jetzt in Deutschland ansässigen ehemaligen Banatern gehört hat, ist man auch der Meinung, dass die Sauerländer, die von der Heimat her ein raueres Klima gewohnt waren, mit dem feuchten Klima in den Sumpfgebieten des Banates nicht so gut klar kamen wie etwa die süddeutschen Siedler, die doch ursprünglich ein milderes Klima gewohnt waren.
Die Ankömmlinge aus dem Sauerland wurden in geschlossenen Gruppen zumeist im Norden des Banats angesiedelt, dem man vor allem im Falle eines neuen Türkenkrieges große militärische Bedeutung beimaß. Das schon bestehende Tschanad wird zu einem Zentrum der Sauerländer, ebenso wie die Ortschaften St. Nikolaus oder Bruckenau, die mit ihren „Sauerländer Gassen“ oder ihrem „Sauerländer Eck“ von der Herkunft der Siedler zeugen. Die Sauerländer bleiben anfangs gern unter sich. Ihr starker landsmannschaftlicher Zusammenhalt wird durch verwandtschaftliche Beziehungen und ihre Sprache verstärkt. Doch schon in der zweiten Generation wird diese Absonderung für ein neues Gemeinschaftsgefühl aufgegeben. Mit der Vermischung verschiedener Dorfkulturen bildet sich im Banat ein eigenes Brauchtum heraus, das über die Eigenarten jedes Dorfes hinaus viele gemeinsame Züge trägt.
17 Treude: Auswanderungen, S. 28ff.
18 Treude: Auswanderung, S. 63.
19 Retzlaff, Hans: Deutsche Bauern im Banat. 1939, S.9ff.
20 Stracke, Klemens: Zweihundert Jahre, S.58ff.
Einzelpersonen und –schicksale
Die ersten Banat-Auswanderer aus dem hiesigen Raum, die in Wien registriert wurden (15. März 1765), waren – wie oben schon beschrieben- die Kirchveischeder Joannes Jostes, Friedrich Jostes, Joannes Coers und Valentin Bense.
Joannes Jostes, der mit Ehefrau Agnes Wise und Töchterchen Anna Margarete auswanderte, sowie der ledige Friedrich Jostes, sicherlich sein Bruder, wurden in Perjamosch angesiedelt. Der Ort liegt im nördlichen Teil des rumänischen Banats, nahe der ungarischen Grenze. Bereits 1724 waren hier die ersten deutsche Siedler in dem zu jenem Zeitpunkt entvölkerten Ort eingetroffen. Der Familienname „Jostes“ hatte sich nach der in Wien erfolgten Registrierung in „Jost“ verändert. Nach Angaben Friedhelm Treudes verstarb Friedrich Jost in Perjamosch am 5. August 1786 im Alter von 64 Jahren21. Wenngleich in dem Ortsfamilienbuch von Perjamosch22 bei diesem Verstorbenen ein anderer Geburtsort steht, gehe ich davon aus, dass es sich hier um den Auswanderer aus Kirchveischede handelt. Friedrich Jost heiratete zweimal. Aus der ersten Ehe gingen neun Kinder hervor, in der zweiten Ehe waren es zehn Kinder. Sieben Kinder starben im Kindesalter. Zwei Generationen weiter, bis 1893, kann man die Nachkommen dieses Friedrich Jost in Perjamosch noch verfolgen. Es ist möglich, dass die zuletzt dort ansässige Familie in einen anderen Ort zog oder im Mannesstamm ausstarb. Von dem Mitausgewanderten Joannes Jost nebst Ehefrau und Kind sind keine weiteren Angaben vorhanden.
Über das Schicksal der zwei weiteren Kirchveischeder Auswanderer Joannes Coers und Valentin Bense konnte nichts ermittelt werden. Beide Familien sind in den Kirchveischeder Kirchenbüchern nachweisbar. Da es in jener Zeit zwei Personen mit Namen Joannes Coers in Kirchveischede gab (Joannes Coers, geb. 27. 3. 1718, Joannes Coers geb. 11. 1. 1733) ist wegen fehlender weiterer Angaben nicht feststellbar, wer von diesen beiden ausgewandert ist. Aufgrund sowohl der vorhandenen Kirchveischeder Kopfschatzregister von 1759 und 1764 als auch des Viehschatzregisters von 1760 ist von einer beschränkten wirtschaftlichen Lage des Joannes Coers auszugehen. Im späteren Kopfschatzregistern von 1784 taucht dann der Name „Geers“ auf. Dieser Name könnte sich aus „Coers“ entwickelt haben. Auch von dem ausgewanderten Valentin Bense, geb. 1723, kann sowohl in Kirchveischede als auch im Banat nichts Näheres ermittelt werden.23
Die ersten Auswanderer aus Bilstein landeten am 30. 4. 1765 in Wien. Es waren dieses Johann Fischler (Fischer) und Friedrich Bender. Es folgten dann am 14. 5. 1765 Alexander Bauermann, Anton Schuhmacher, Johann Schultz, Johann Rulach, Franz Göckel, Caspar Bruma und Alexander Mosbauer. Am 29. 5. 1765 gibt ein Johann Peter Korek als Heimatangabe „Wildstein aus Westphalen“, also Bilstein ist hier gemeint, an. Dieser Auswanderer wird um 1718 in Bilstein geboren worden sein, wohnte nachweislich nach seiner Heirat mit Katharina Quieters aus Rönkhausen in Schönholthausen. Zugleich mit Johann Peter Korek landet ein Bernhard Fohs in Wien.
Am 10. 6. 1765 kommen dann noch Heinrich (Fochs) Voss, David Vaso (Voss) und Johann Degenhart in Wien an. Am 31. 5. 1766 werden Johann Weißenfels, Johann Adam Pana und Johann Wilhelm Nebeling und am 5. 6. 1766 Johann Lekers in Wien registriert.
Die Bilsteiner Auswanderer Friedrich Bender, Johann Degenhart und Heinrich Voss wurden in Tschanad angesiedelt. Der Ort liegt im westlichsten Zipfel von Rumänien, nördlich von Sankt-Nikolaus, dicht an der Grenze zu Ungarn. Die Gemeinde befindet sich zwischen dem Marosch und der Aranka, wobei der Marosch die natürliche Grenze zu Ungarn bildet. Bereits zwischen 1723 und 1726 wurden schon einige deutsche Familien dort angesiedelt. In den Jahren 1764 – 65 wurde Deutsch-Tschanad von Baron Laffort um 139 Häuser mit Familien aus dem Sauerland erweitert. Diese Familien stellten fast ein Drittel der gesamten Ansiedler in diesem Ort.
Friedrich Bender, geb. um 1724 in Bilstein, war in erster Ehe verheiratet mit Anna Maria (Geburtsname unbekannt) aus Menden/Sauerland. Sie war wohl den Strapazen der Reise nicht gewachsen und starb in Tschanad am 4. 1. 1766 im Alter von 30 Jahren. In zweiter Ehe heiratete er Anna Maria Gerbl. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor, wovon zwei im Kindesalter starben. Kurz nach der Geburt des letzten Kindes verstarb die Mutter im Alter von 40 Jahren. Friedrich Bender heiratete zum dritten Mal, und zwar die Witwe Katharina Kluger, mit der er noch eine Tochter bekam. Nach dem Tod von Friedrich Bender am 30. 8. 1802 verliert sich die Spur dieser Familie im Banat24.
Über den Bilsteiner Auswanderer Heinrich Voss (in Wien registriert als „Fochs“) könnte es sich um den in Tschanad sesshaft gewordenen Heinrich Fuchs handeln, der allerdings bereits 1771 im Alter von 50 Jahren verstarb. Er bekam mit seiner Ehefrau Anna Maria sieben Kinder, von denen vier im Kindesalter verstarben. Aus den Ehen seiner drei Söhne überlebten nur die weiblichen Nachkommen, sodass die Familie im Mannesstamm m. E. erlosch25.
Auch der am 29. Mai 1765 in Wien registrierte Bernhard Fohs (Voss, Fuchs) lässt sich in Tschanad nieder. Er ist offenbar ein Sohn des bereits genannten Heinrich Voss. Bernhard Voss bekommt mit seiner Ehefrau Anna Maria Katharina drei Kinder, die aber alle bereits früh versterben. Bernhard tritt einige Male als Trauzeuge in Tschanad auf, sonst ist aber über ihn nichts bekannt.
Der in Bilstein vor 1718 geborene Johann Peter Correk (Korek; registriert als „Koreck“) wanderte nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Katharina Quieters aus Rönkhausen um 1751 mit den zwei Kindern aus dieser Ehe sowie seiner 2. Ehefrau Anna Elisabeth und den vier Kindern aus dieser Ehe nach Ungarn aus. In Wien wurde er registriert am 29. 5. 1765. Nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau heiratete er erneut, und zwar Gertrude Heimberger aus Altenilpe. Mit ihr bekam er 11 Kinder. Aufgrund seiner zahlreichen Nachkommen, die auch überwiegend männlich waren, wuchsen in Tschanad zahlreiche Familien bzw. Generationen heran, die bei Interesse einer umfangreichen Familienforschung bedürften26 . Es kann daher hier nicht im Einzelnen darauf eingegangen werden.
Der Bilsteiner Auswanderer Johann Schultz (oder auch „Schulte) wurde offenbar in Groß Sankt Nikolaus/Banat angesiedelt. Näheres konnte aber nicht ermittelt werden. Ebenso wie Johann Schultz ließen sich Anton Schuhmacher und Johann Fischler (Fischer) in Groß Sankt Nikolaus nieder. Johannes Fischer, von Beruf Schuster und Schneider, hatte offenbar den Namen seiner Ehefrau Margaretha Fischer, gt. Cösters angenommen und hieß ursprünglich Johannes Hauffnagel. Er heiratete um 1760 die Witwe Margaretha Fischer, die drei minderjährige Kinder mit in die Ehe einbrachte27. Vor ihrer Abreise in das Banat verkauften die Eheleute am 26. 1. 1765 das Fischers Haus und Gut in Bilstein an Wilhelm Fischer28. Mit ihren drei Kindern Johannes, Anna Maria und Maria Elisabeth Fischer traten sie dann die Ausreise in das Banat an, auf der sie dann am 30. 4. 1765 in Wien registriert wurden.
Leider liegt von dem Ansiedlungsort Groß Sankt Nikolaus derzeit noch kein Ortsfamilienbuch vor, es soll aber in Bearbeitung sein. Vielleicht kann man dann erneut Recherchen über den Verbleib dieser Familien anstellen.
Der Ort Groß Sankt Nikolaus oder heute Sânnicolau Mare liegt im äußersten Westen Rumäniens, 64 km nordwestlich
von Timișoara (deutsch: Temeswar). Er ist eine Grenzstadt und liegt etwa 8 Kilometer von Ungarn und 25 Kilometer von Serbien entfernt. Der Ort befindet sich am Ufer der Aranka, einst ein Nebenarm des sechs Kilometer nördlich fließenden Marosch. Die ersten deutschen Siedler kamen hier bereits 1752 an und prägten das Ortsbild. Viele Sauerländer Familien ließen sich hier nieder. Im April 1765 zählte der Ort 164 deutsche Familien.
Die am gleichen Tag mit den Bilsteinern Johann Schultz und Anton Schuhmacher am 14. 5. 1765 in Wien registrierten Alexander Bauermann, Johann Rulach, Franz Göckel, Caspar Bruma und Andreas Mosbauer sind mit größter Wahrscheinlichkeit keine Bilsteiner gewesen. Sie haben sich sicherlich auf der Reise dem Trupp der Bilsteiner angeschlossen und sind daher in Wien als von Bilstein kommend erfasst worden. Über diese Personen liegen keine Angaben in den Kirchenbüchern von Bilstein vor. In den Banater Akten werden sie aber durchweg als „v. Bilstein, a. d. Kölnischen“ kommend aufgeführt.
Keine genauen Angaben über den Herkunftsort sind ebenso in den Banater Akten zu finden von dem am 10. 6. 1765 in Wien registrierten Bilsteiner Auswanderer David Vaso (Voss, Fuchs). Bei Johann Degenhart, der auch in dieser Bilsteiner Truppe verzeichnet wird, ist in den Banater Akten allerdings der Hinweis auf „Heinsberg b. Kirchhundem“ als Herkunftsort enthalten. Er wurde in Tschanad angesiedelt.
Von den Auswanderern Johann Weißenfels, Johann Adam Pana, Johann Wilhelm Nebeling und Johann Lekers, die im Mai und Juni 1766 in Wien ankamen, ist bekannt, dass Johann Weißenfels sich in dem Ort Sackelhausen unweit Temeswar niederließ. In Sackelhausen könnte sich auch Johann Wilhelm Nebeling niedergelassen haben, da hier ein nur wenige Monate altes Kind dieses Auswanderers gestorben ist. Allerdings findet sich auch in dem Ortssippenbuch von Billed eine Anna Nebeling aus Bilstein, geb. 1707, wieder, die zusammen mit dem vorhin genannten Johann Wilhelm Nebeling ausgewandert sein könnte. Nähere Aufzeichnungen liegen nicht vor.
21 Treude, Friedhelm: Auswanderung, S. 204.
22 Krämer, Anton: Perjamosch und Perjamosch-Haulik im Banat. 2000, S. 669.
23 Treude, Friedhelm: Auswanderung, S. 205.
24 Hinkel, Brunhilde: Ortssippenbuch Tschanad/Cenad 1764 – 2007. 2007, S. 114f.
25 Ebenda, S. 282ff.
26 Ebenda, S. 543ff.
27 Stadt- und Landständearchiv Arnsberg, Schatzungsliste Bilstein 1764, Liste IV A 14/15
28 Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, Hzgtm.Westfalen, Hypothekenbuch des Amts Bilstein 1724 – 1810, Bd. 5, Fol.623 – 631
Ursachen der Auswanderung
Den größten Teil der Banat-Auswanderer der Jahre 1765 bis 1768 stellte aber das Dorf Oberveischede. Insgesamt machten sich in diesen Jahren nach den vorliegenden Unterlagen 27 Familien/Personen auf den Weg in eine ungewisse Zukunft. Weitere neun Familien gingen 1786 noch ins Banat. Wenn man nur davon ausgeht, dass jeder der 36 registrierten Auswanderer sich mit Ehefrau und einem Kind auf den weiten Weg machte, wird dieses ein Aderlass von mindesten 100 Personen allein für Oberveischede gewesen sein. Warum wanderten deutlich mehr Personen von Oberveischede aus als z. B. aus dem benachbarten Kirchveischede? War es eine schlechtere wirtschaftliche Lage der betroffenen Familien oder waren die auf Provisionsbasis agierenden Werber hier besonders aktiv? Von diesem Exodus von rund 100 Personen bei errechneten 174 Einwohnern gemäß des Kopfschatzregisters von 1764 hat sich der Ort Oberveischede eigentlich nie wieder erholt. Schon aus den Schatzungslisten von 1784 geht hervor, dass Kirchveischede mehr Hofstätten und Einwohner hatte als Oberveischede.
Vor der 1764 beginnenden Auswanderungswelle hatte Oberveischede eine größere Einwohnerzahl als Kirchveischede. Gemäß Kopfschatzregister29 werden
1764 wurden in Kirchveischede bei 21 Hofstätten notiert:
50 schatzungspflichtige Eheleute, Wwe, Ledige
25 Beilieger
13 Kinder über 12 J.
7 Knechte
17 Mägde
29 Kinder unter 12 J.
141 insgesamt
In Oberveischede zählte man im gleichen Register bei 28 Hofstätten:
55 schatzungspflichtige Eheleute, Wwe, Ledige
33 Beilieger
25 Kinder über 12 J.
11 Knechte
19 Mägde
31 Kinder unter 12 J.
174 insgesamt
Bilstein war der größte Ort im Veischedetal. Ohne die Geistlichkeit und ohne die churfürstlichen Bedientesten und deren Familien zählte der Ort bei 37 Hofstätten 30
83 schatzungspflichtige Eheleute, Wwe, Ledige
99 Kinder über und unter 12 J.
30 Knechte u. Mägde
38 Beilieger
250 insgesamt.
Die erste Auswanderergruppe aus Oberveischede meldete sich in Wien am 27. März 1765 an. Elf Personen wurden mit ihren Familien dort registriert. Der Senior der Truppe dürfte Johann Rump, geb. um 1696, gewesen sein.
Er reiste mit Frau und vier Kindern aus. Mit ihm reisten u. a. auch Jakob Rump, geb. 1706, und seine ganze Familie mit insgesamt zehn Personen aus. Jakob dürfte der Bruder des Johann gewesen sein. Hier stellt sich die Frage: Wie hoch mag die wirtschaftliche Not oder sogar die Verzweiflung in jener Zeit gewesen sein, dass sich noch die Männer im seinerzeit wirklich hohen Alter von 69 und 59 Jahren mit ihren Familien auf den langen und gefährlichen Weg in ein fernes und unbekanntes Land mit einer völlig ungewissen Zukunft gemacht haben? Sie konnten sicher in ihrer Heimat kaum überleben oder sahen keine Perspektiven für sich und ihre Kinder mehr im heimischen Oberveischede.
Beide Familien wurden in Bruckenau angesiedelt. Nachkommen des Johann Rump lassen sich noch drei Generationen in Bruckenau nachweisen. Wie auch bei vielen Auswandererfamilien üblich, starben die meisten Kinder schon im Kindesalter. Der Auswanderer Johann starb in Bruckenau im Jahr 1770 im Alter von 74 Jahren 31.
Bruckenau (rum.: Pischia) liegt im Kreis Timiș, in der Region Banat, im Südwesten Rumäniens, 20 km nordöstlich von der Kreishauptstadt Timișoara (Temeswar). Die ersten Deutschen wurden 1724 während des Ersten Schwabenzugs angesiedelt. Sie kamen aus Trier, dem Elsass und Lothringen und nannten den Ort Bruckenau nach dem aus der alten Heimat mitgebrachten Namen Bruck an der Au. 1759 – 1763 fand eine zweite Kolonisierungswelle mit deutschen Kolonisten statt. In einer Verfügung vom 13. Mai 1767 wurden jedem Kolonisten 24 Joch zum Ackerbau und 6 Joch Wiesen zugeteilt. Im Jahr 1880 wohnten in Bruckenau 2926 Deutsche bei einer Bevölkerung von 5079 Einwohnern. Der Krieg und die Enteignung der deutschen Bauern in Rumänien nach 1945 entzog der ländlichen Bevölkerung die Lebensgrundlage. Die vom Krieg verschont gebliebene Bevölkerung machte sich auf den Weg zurück in die alte Heimat Deutschland. Durch diese Aussiedlung lebten 2011 bei einer Gesamteinwohnerzahl von 3051 nur noch acht Deutsche in Bruckenau 32.
Ebenfalls machten sich 1765 die aus Oberveischede mitausgewanderten Eheleute Heinrich und Anna Maria Springer in Bruckenau sesshaft. Sie bekamen in Bruckenau zwei Kinder, Paul und Katharina, die jeweils im ersten Lebensjahr verstarben. Anna Maria, die Ehefrau, starb 1769, ein halbes Jahr nach dem Tod der Tochter Katharina. Drei Monate später ehelichte Heinrich Springer am 9. 5. 1769 Eva Hantz. Mit ihr bekam er sieben Kinder. Aber lediglich Johann, geb. 1777, überlebte das kritische Kindesalter. Er heiratete 1800 Katharina Ehr. Von den vier Kindern aus dieser Ehe verstarben kurz nach der Geburt die ersten drei Kinder, es waren Söhne. Das jüngste Kind Barbara heiratete 1825 im Alter von 17 Jahren Stefan Holmik33. In Bruckenau verliert sich dann die Spur der Springers aus Oberveischede.
Bei dem gleichen Trupp aus Oberveischede, der sich am 27. 3. 1765 in Wien registrieren ließ, war auch Johann Kebbekus, geboren etwa 1743. Auch er ließ sich in Bruckenau nieder. Die Schreibweise seines Namens war im Banat aber fortan „Gebekusz“. Er bekam mit seiner Ehefrau Elisabeth, die sehr wahrscheinlich mit ihm ausgewandert war, sieben Kinder. Alle Kinder, außer dem zweiten Sohn Johann Peter, der 20 Jahre alt wurde, starben im Alter von bis zu zwei Jahren. Elisabeth, die Ehefrau, starb am 21. 1. 1777, zwei Wochen nach der Geburt und dem Tod des siebten Kindes, im Alter von 34 Jahren. Johann heiratete eine Woche nach ihrem Tod Christina Plankenberger. Die Erklärung für die relativ schnelle Wiederheirat, die bei vielen Aussiedlern zu beobachten ist, liegt darin, dass das für die Führung eines Hofes und einer Wirtschaft, vor allem jedoch für die Erziehung der Kinder, unbedingt notwendig war. Ferner war dies auch gesetzlich vorgegeben, damit die Kinder nicht dem Staat zur Last fielen. Johann und Christina bekamen drei Kinder, von denen die beiden Mädchen im Kindesalter verstarben. Der Sohn Heinrich, geb. 1780, überstand die kritischen Kinderjahre und konnte den Familienstamm fortführen. Er heiratete mit 19 Jahren Anna Ebert; sie bekamen sieben Kinder. Die Ehefrau starb dann auch recht jung im Alter von 31 Jahren. Drei Monate später heiratete der Witwer dann Margareta Petri. Sie bekamen drei Mädchen, von denen zwei im Kindesalter verstarben. Von den zwei Söhnen des Heinrich aus seiner ersten Ehe mit Anna Ebert setzten die Söhne Johann und Adam dann den Familienstamm fort. In Bruckenau verliert sich dann aber ab 1849 die Spur dieser Familie, vielleicht durch Umzug in einen anderen Ort34.
Dem Oberveischeder Auswanderer Johann Kebbekus sowie seinem Mitauswanderer Johann Heinrich Schneider hat es im Banat bzw. in Bruckenau anscheinend sehr gefallen. Beide erhielten im Oktober 1767 Pässe, um zum Verkauf ihrer sauerländischen Liegenschaften und zur Regelung von Erbschaftsangelegenheit anderer Kolonisten aus Oberveischede, nach Oberveischede zurückzukehren. Mit einer weiteren Gruppe aus Oberveischede zogen sie am 26. März 1768 wieder durch Wien ins Banat. Sie ließen sich aber erneut in Wien registrieren, um sicher die Vergünstigungen und Gelder ein zweites Mal zu erhalten. Diese zeitweiligen Heimkehrer, die sich dann mit einer neuen Gruppe wieder ins Banat aufmachten, waren keine Einzelfälle. Die kölnische Landesregierung wurde darauf aufmerksam und erließ einen scharfen Erlass gegen diese „Verführer“35.
Neben dem genannten Johann Kebbekus war ein anderer „Verführer“ der oben schon erwähnte Johann Heinrich Schneider (oder auch „Schnieders“), geb. um 1722, aus Oberveischede. Auch er kam mit dem großen Treck der Oberveischeder am 27. 3. 1765 in Wien an. Vor seiner Ausreise in das Banat hatten Johann Heinrich Schneider, gt. Kuse, und seine Ehefrau Eva Kuse am 5. März 1765 das Kusen Haus und Gut zu Oberveischede an die Eheleute Johann Peter Neuhaus, gt. Schneider, und Anna Margaretha Schneider36 verkauft. Die Eheleute Johann Heinrich und Eva Schneider wurden wie ein Großteil der mitausgewanderten Dorfbewohner in Bruckenau angesiedelt. Johann Heinrich Schneider war es dann auch, der mit Johann Kebbekus nach Oberveischede zurückkehrte, seine Erbschaftsangelegenheiten regelte und mit einem
neuen Trupp Oberveischeder sich am 26. März 1768 in Wien wieder neu registrieren ließ. Anschließend ging er wieder nach Bruckenau. Mit seiner mitausgewanderten Ehefrau Eva aus Oberveischede bekam er drei Kinder, die alle im frühen Kindesalter verstarben. Er heiratete am 23. 11. 1773 die Witwe Magdalena Moier (oder Stoier, oder Mojem). Von ihren gemeinsamen drei Kindern verstarben frühzeitig die beiden Mädchen, der Sohn Jakob, geb. 1775, überlebte. Er heiratete 1797 Margareta Till. Sie bekamen zehn Kinder, davon vier Söhne. Diese Söhne und zwei Mädchen verstarben im Kindesalter. Die Überlebenden vier Mädchen gingen alle eine Ehe ein. Johann Heinrich Schneider starb in Bruckenau am 23. 10. 1787.37
Ein in der gleichen Truppe wie Rump, Springer, Kebbekus und Schneider ausgewanderter Franz Bendre (Bender) gab in Wien als Heimatangabe „Oberveischede“ an. Er stammt aber sehr wahrscheinlich aus Niederhelden, wo er als Sohn der Eheleute Kornelius und Katharina Bender um 1743 in Helden getauft wurde. Franz Bender heiratete in Bruckenau eine Anna Katharina, mit der er sieben Kinder bekam. Er selbst starb 1788 im Alter von 45 Jahren. Nur die älteste Tochter Elisabeth überlebte die Strapazen der ersten Ansiedlerjahre und heiratete später einen Valentin Ebert. Gemäß dem Familienbuch von Bruckenau lebte dort auch Heinrich, ein Bruder von Franz Bender. Über die Benders ist sonst nichts Näheres bekannt.
Johann Peter Sieler, geb. um 1740, aus Wenden, der verheiratet war mit Christine Föhrs aus Oberveischede gehörte auch zu dem Auswanderertrupp ins Banat. In den Wiener Akten wurde er als Johann Petersiller geführt, in den Bruckenauer Akten gibt es einen Witwer Peter Siller. Dass es sich hierbei um den Auswanderer handelt, ist anzunehmen, es fehlt aber der letzte Beweis. Später soll der Auswanderer in Hatzfeld angesiedelt worden sein. Näheres ist derzeit nicht bekannt38.
Auch in Bruckenau angesiedelt wurde der aus Oberveischede stammende Hermann Krämer. Er kam mit einer Gruppe von Rieflinghauser Familien am 27. März 1766 in Wien an. Er heiratete noch im gleichen Jahr die Witwe Susanne Hirschlein. Johann Peter Sieler aus der Oberveischeder-Auswanderungsgruppe, der ein Jahr zuvor in Bruckenau sesshaft geworden war, war einer der beiden Trauzeugen39. Auch über den Verbleib dieser jungen Familie in Bruckenau konnte nichts ermittelt werden.
Die in einer großen Gruppe in Bruckenau angesiedelten Sauerländer wurden auch geschlossen angesiedelt. Die Bewohner der „Sauerländer Gasse“ Nummer 12 bis 48 sind durchweg die Oberveischeder Siedler. Die sauerländischen Familiennamen sind in Bruckenau noch lange erhalten geblieben.
Aus Oberveischede wanderte auch Mathias Kusen (Schreibweisen auch: Kuse, Cuzen, Kußen) 1765 ins Banat. Er war verheiratet mit Maria Elisabeth Siepen. Ihnen wurden in Oberveischede vier Kinder geboren40. Da bei seiner Registrierung in Wien sechs Personen angegeben wurden, ist er wohl mit seiner ganzen Familie ausgewandert. Mathias Kuse wird sicherlich der Schwager des mitausgewanderten Johann Heinrich Schneider gewesen sein, der Eva Kuse zur Ehefrau hatte. Wie zuvor schon erwähnt, hatten diese vor der Abreise ins Banat das Kusen Haus und Gut in Oberveischede verkauft.
Der Familie des Mathias Kusen wurde der Ort Billed als neuer Heimatort zugewiesen. Mathias Kuse wurde Besitzer des Hausplatzes Nr. 221 in der Sauerländer Gasse von Billed. Noch heute erinnert das Kusehaus in der Sauerländer Gasse an den sauerländischen Auswanderer. Maria Elisabeth Siepen, die Ehefrau des Mathias Kusen, bekam in Billed noch zwei Kinder, Joannes (*1769) und Anna Maria (*1772), bevor sie dann allerdings schon am 29. 1. 1773 verstarb. Mathias Kusen heiratete dann am 22. 2. 1773 die Witwe Elisabetha Briser (oder auch „Drißer, Brüser“). Sie war die Witwe des Heinrich Brüser aus Benolpe/Kirchhundem, die zusammen am 1. 4. 1766 als Auswanderer in Wien registriert und in Billed angesiedelt worden waren. Sie bekamen noch ein Kind, und dann starb Mathias Kusen am 7. April 1776 im Alter von 58 Jahren41. Das Wohnhaus in der Sauerländer Gasse 221 ging nach dem Tod des Mathias Kusen in andere Hände über. – Der mit seinen Eltern ausgewanderte älteste Sohn der Eheleute Mathias Kuse und Maria Elisabeth Siepen, Johann Peter Jodokus Kusen, geb. 1751, bezog das Haus Nr. 197 in der Sauerländer Gasse von Billed. Näheres konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Angehörige der Familie Kusen in Billed sind nicht mehr nachweisbar. Dieses kann bedingt sein durch das in den 1770er Jahren einsetzende große Sterben. Einige verließen auch den Ort, um sich anderswo niederzulassen.
Neben der Familie des Mathias Kusen wurde auch der aus Oberveischede im Jahr 1765 mitausgewanderte Johann Roth in Billed angesiedelt.42 Sein Name ist aber nicht zu finden in dem Grundbuchverzeichnis von Billed. Er ist aber verzeichnet in der Quartierliste der Sauerländischen Erstsiedler von Bruckenau von 1787. Wie zuvor schon berichtet, wurden in Bruckenau bereits etliche Oberveischeder Auswandererfamilien sesshaft. Sicherlich hat Johann Roth nur kurze Zeit in Billed gewohnt und ist dann nach Bruckenau gezogen.
Billed ist eine Gemeinde im Kreis Timis im Südwesten Rumäniens. 1765 erfolgte die Ortsgründung als deutsche Mustergemeinde mit 252 Häusern. Die Siedler kamen aus dem Rheinland und aus der Pfalz, aus Hessen, aus dem Sauerland, aus Baden und aus Württemberg, aus Luxemburg und aus Lothringen. Die Stärke der Sauerländer Einwanderung und ihr landsmannschaftlicher Zusammenhang führten auch in Billed zur zusammenhängenden Ansiedlung. In der „Sauerländer Gasse“ wohnten dann auch die Oberveischeder Auswanderer. Der Ort hatte im Jahr 1880 eine Gesamteinwohnerzahl von 4767 Personen, davon waren 4627 Deutsche. Im Jahr 2011 lebten dort insgesamt 3294 Personen, davon 85 Deutsche.43
Von der großen Gruppe der Oberveischeder Auswanderer, die am 26. März 1768 in Wien registriert wurden, ist bekannt, dass Hermann Huber (Huperts) in St. Nikolaus angesiedelt wurde. Peter Seiler (Sieler) ging nach Hatzfeld, wo schon viele Sauerländer Familien sich niedergelassen hatten.
Unter den ebenfalls mit dieser Auswanderergruppe in Wien ankommenden Oberveischeder waren auch Heinrich Schneider und Johannes Kebbekus, die sicher die Anführer dieser Gruppe waren. Wie schon zuvor berichtet, waren sie schon am 27. März 1765 in Wien registriert worden. Angeblich wegen dringender Erbschaftsangelegenheit kehrten sie nach Oberveischede zurück, um jetzt wieder mit neun weiteren Oberveischeder Familien ins Banat zurückzukehren. Schneider und Kebbekus werden sicherlich wieder nach Bruckenau zurückgekehrt sein, wo sie schon 1765 sesshaft geworden waren.
Wo die anderen zuvor bezeichneten Oberveischeder Personen/Familien angesiedelt wurden, die am 26. März 1768 in Wien registriert wurden, konnte nicht ermittelt werden. Darunter war auch ein Johannes Stupperich (Stuprich, Stuprecht). Zu dieser Zeit gab es keine Familie Stupperich in Oberveischede. Sicherlich kam er aus dem Kirchspiel Rhode, wo Stupperichs ansässig waren, und hatte sich dieser Oberveischeder Gruppe angeschlossen. Zwei Jahre zuvor waren drei Geschwister Stupperich aus Rhode, Johann Peter und Ehefrau Anna Dorothea Hardenacke (Benolpe, Drolshagen) und die ledigen Geschwister Johann Heinrich und Eva Maria Stupperich, bereits mit einem Trupp aus dem Raum Drolshagen in das Banat aufgebrochen und wurden am 8. April 1766 in Wien registriert. Alle drei wurden in Hatzfeld angesiedelt, wo die beiden Brüder zwei große Stammreihen von Stuprichs im Banat begründeten. Ob der mit der Oberveischeder Gruppe ausgewanderte Johannes Stupperich sich zu den Rhoder Stupperichs in Hatzfeld gesellte, ist nicht bekannt. Es konnte auch kein sonstiger Ansiedlungsort von ihm gefunden werden.
Ebenfalls keine Aussage zu den Ansiedlungsorten kann zu der Gruppe von acht Familien mit 25 Personen gemacht werden, die 18 Jahre später, also am 16. Juni 1786, in Wien ankam und dort auch registriert wurde. Wie zuvor bereits erwähnt, stammt diese Gruppe mit größter Wahrscheinlichkeit aus Oberveischede.
Aber auch weitere Familien aus der Veischederegion wagten nach 1778, der Zeit des „3. Schwabenzuges“, die Auswanderung in das Banat. So verkauften am 27. Februar 1782 die Eheleute Heinrich Winkelmann, gt. Stöven, und Maria Elisabeth Teipel aus Bilstein das Stöven Haus und Gut an ihren Bruder bzw. Schwager Christoph Teipel, Kirchveischede, um nach Ungarn auszusiedeln.44
Die Eheleute Friedrich und Maria Elisabeth Busch aus Kirchveischede ließen am 11. April 1787 das Buschs Haus und Gut in Kirchveischede versteigern, da sie beabsichtigten, nach Ungarn auszuwandern.45
Die Unterlagen und Listen nach der Rückgliederung des Banats in den ungarischen Staatsverband 1778, also aus der Zeit des „3. Schwabenzuges“, werden im Ungarischen Nationalarchiv verwahrt und sind schwer zugänglich. Die Namen dieser zuletzt genannten Auswanderer wie auch anderer Auswanderer aus dieser Zeit in diese Region sind nicht in dem Quellenverzeichnis von Wilhelm/Kallbrunner
erfasst.
29 Landesarchiv Münster, Hztm. Westfalen: Landstände, Nr. 1910: Kopfschatzliste des Amtes Bilstein 1764
30 Stadt- und Landständearchiv Arnsberg, Schatzungsliste Bilstein 1764, Liste IV A 14/15
31 Schmidt, Martin und Edith: Familienbuch der katholischen Pfarrgemeinde Bruckenau und ihrer Filialen 1760 – 1852. S. 339 ff.
32 Wikipedia: Pischia (Bruckenau)
33 Schmidt, Martin und Edith: Familienbuch der katholischen Pfarrgemeinde Bruckenau und ihrer Filialen 1760 – 1852, S. 386ff.
34 Ebenda, S. 91ff.
35 Treude, Friedhelm: Auswanderung, S. 10, 194, 199.
36 Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, Hzgtm.Westfalen, Hypothekenbuch des Amts Bilstein 1724-1810, Bd.5., Fol.651 – 653
37 Schmidt, Martin und Edith: Familienbuch, S. 361f.
38 Treude, Friedhelm: Auswanderung, S. 50 u. 197f.
39 Ebend, S. 203., siehe auch: https://heimathaus-billed.de/geschichte/ortssippenbuch
40 Landesarchiv Münster, Hztm. Westfalen: Landstände, Nr. 1910: Kopfschatzliste des Amtes Bilstein 1764
41 Wikete, Hans: Ortssippenbuch Billed 1765 – 2000
42 Weber, Wilhelm (Heimathaus Billed): Die Sauerländer in Billed; siehe auch: heimathaus-billed.de/geschichte
43 Wikipedia: Biled (Billed)
44 Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, Hzgtm.Westfalen, Hypothekenbuch des Amts Bilstein 1724-1810, Bd.5., Fol. 292-294;
45 Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, Hzgtm.Westfalen, Hypothekenbuch des Amts Bilstein 1724-1810, Bd.5., Fol.65 - 68
Die Sauerländer Gassen im Banat
Im Zuge der Wiederaufsiedlung des durch den Türkenkrieg 1737/39 entvölkerten Raumes im Banat entstanden nach dem Willen der österreichischen Verwaltung schematische, auf dem Reißbrett entworfene Dorfanlagen, zumeist in Form eines Schachbrettmusters. Damit bestimmten – und bestimmen auch heute noch – breite, einander rechtwinklig schneidende Gassen das Ortsbild der neuen Dörfer. Vorgeschrieben wurde für die Hauptgassen eine Breite von 34 – 38 Metern, für die Quergassen eine Breite von 11 – 12 Metern, um die Ausbreitung etwaiger Feuersbrünste zu verhindern. Die einheitlich geplanten einstöckigen Streckhöfe, die mit ihrer Schmalseite zur Straße standen, vermittelten durch die extreme Gassenbreiten den Eindruck von Einförmigkeit und Eintönigkeit, jedoch kommt es auf die Sichtweise an: „Die stillen, trauten Winkel gab es nicht, dafür aber die wohltuende, ausholende Breite“.46 Es kann davon ausgegangen werden, dass eine geschlossene Ansiedlung der aus dem Sauerland stammenden Kolonisten in eigenen Gassen in bereits bestehenden Dörfern erfolgte. So wurde in Tschanad der Kern der Sauerländer Einwanderer in einem neuen Abschnitt der Hauptgasse angesiedelt, die dann den Namen „Sauerländer Eck“ trug. So gab es „Sauerländer Gassen“ in Groß Sankt Nikolaus, in Bruckenau und in Billed.
In Billed, einer Siedlungs-Neugründung auf der Banater Heide mit wenigstens 56 sauerländischen Familien, starben allerdings innerhalb von vier Jahren insgesamt 734 von höchstens 1000 Erstsiedlern. Aus dem Grundbuch von Billed aus dem Jahr 1774 geht hervor, dass die meisten der in Billed beheimateten Sauerländer in der „Sauerländer Gasse“ gewohnt haben. Von dieser Gasse bekam der benachbarte Friedhof den Namen „Sauerländer Friedhof“. Die an einem Ende der Gasse befindliche Brücke über den Jer-Bach heißt „Sauerländer Brücke“ und die anschließende Hutweide „Sauerländer Hutweide“ (= Hutung oder Magerweide). Diese sauerländischen Namen wurden zu einem der meistgebrauchten Wörter im Sprachgebrauch der Billeder47.
In Hatzfeld, das im Frühjahr 1766 als Großdorf gegründet wurde, können wenigstens 45 sauerländische Familien nachgewiesen werden. Sie ließen sich in der „Sauer-Gasse“ nieder. Bei dieser Bezeichnung dürfte es sich um eine Namensverkürzung oder –verstümmelung von „Sauerländer Gasse“ handeln, wie sie auch in anderen Orten nachgewiesen sind. Innerhalb weniger Jahrzehnte führten die durch Seuchen gerissenen, mit Sauerländern nicht mehr zu schließenden Lücken in Verbindung mit Einheirat oder Verkauf der Höfe zur Auflockerung der anfangs geschlossenen sauerländischen oder westfälischen Ansiedlungen. Eine große Zahl sauerländischer Familiennamen sind heute die letzten Zeugen einer sauerländischen Beteiligung an der Besiedlung des Banats48.
46# Engelmann, N.: Ein Buch der Erinnerung in Bild und Wort. Donauschwäbische Beiträge 31, Freilassing 1959, S.26
47 Weber, Wilhelm (Heimathaus Billed): Die Sauerländer in Billed ; siehe auch: heimathaus-billed.de/geschichte
48 Treude, Dr. Erhard: Sauerländer Gassen im Banat. In: Westfalen, Nordwestdeutschland, Nordseesektor, von H. Kleinn und Geographische Kommission für Westfalen 1981. S.377 ff.
Die Entwicklung des Banats nach der Auswanderungswelle
Zum besseren Verständnis der Lage der „Banater Schwaben“, wie sie sich fortan nannten, ein kurzer Rückblick in die Geschichte: Obwohl die Zahl der Banater Schwaben durch Seuchen usw. arg dezimiert wurde, kam es infolge extrem hoher Geburtenzahlen in den deutschen Ortschaften (etwa 170) zu einer wahren Bevölkerungsexplosion. Durch zähen Fleiß brachten die Schwaben es zu ständig wachsendem Wohlstand in dieser mittlerweile von Sümpfen trockengelegten fruchtbaren Ebene. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Banat aufgrund eines Abkommens in der Doppelmonarchie von Österreich an Ungarn abgetreten. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte dann aber das Banat seine Einheit verlieren. Das Gebiet wurde gegen den Willen seiner Bevölkerung im Vertrag von Trianon 1920 dreigeteilt: Rumänien erhielt mit fast zwei Dritteln den größten Anteil, ein knappes Drittel fiel an das neugegründete Jugoslawien, während Ungarn sich mit einem kleinen Landstrich begnügen musste. Der rumänische Teil des Banats erlebte in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg eine ungeahnte positive Entwicklung auf allen Gebieten: wirtschaftlich, sozial und kulturell. Die Banater Schwaben machten aus diesem mit natürlichen Reichtümern gesegnetem Landstrich eine wahre Kornkammer, deren Wirtschaftskraft beispielhaft war. Es waren Jahrzehnte, in denen „Milch und Honig“ flossen, wo zu arbeiten und zu leben sich lohnte.
Diese Entwicklung wurde durch den Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen. Durch die Wirren des Weltkrieges wurde die Zahl der Banater Deutschen erneut dezimiert.
Gegen Ende des Krieges 1944 mussten sich die Banater Deutschen entscheiden, ob man vor der heranrückenden Sowjetarmee flüchten und damit die Heimat aufgeben oder ob man bleiben sollte. Pläne für eine organisierte Evakuierung lagen nicht vor. Die an ihren Wohnorten Verbliebenen waren recht- und wehrlos den Willküraktionen rumänischer staatlicher Stellen und von privater Seite ausgeliefert. Die Geflüchteten strebten in langen Wagenkolonnen der ungarischen und jugoslawischen Grenze zu. Viele kamen nicht über die Theiß und die Donau, da sie von Partisanen überfallen und ausgeraubt wurden.
Vom Januar 1945 bis zum Dezember 1949 wurden zwischen 70.000 und 80.000 Rumäniendeutsche auf Grund ethnischer Kriterien in die Sowjetunion verschleppt. Dort leisteten sie Zwangsarbeiten als Reparation für die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, überwiegend in Bergwerken und Schwerindustriebetrieben in der Ukraine, aber auch im Kaukasus. Circa 33.000 Banater Schwaben wurden zwischen dem 14. und 16. Januar 1945 ausgehoben. In den Städten wurden die Betroffenen durch gemischte rumänisch-sowjetische Militärpatrouillen aus ihren Häusern geholt. Betroffen waren von dieser Deportation Männer zwischen 16 und 45 Jahren und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, außer Müttern mit Kindern unter einem Jahr. Die Deportierten mussten an sieben Tagen in der Woche täglich 12 Stunden bei unzureichender Hygiene und Ernährung Zwangsarbeit leisten. Um die 5.000 Personen, etwa 15 Prozent der Betroffenen, überlebten nicht49.
Als nach der Heimkehr der Russlandverschleppten und eines Großteils der Kriegsgefangenen im Frühjahr 1951 die so schwer geprüften Banater Schwaben an eine sich allmählich anbahnende Verbesserung ihrer Lage glaubten, geschah das, womit im Sommer 1951 keiner mehr rechnete, nämlich eine neuerliche Deportation, dieses Mal nicht nach Russland, sondern in die Baragan-Steppe Rumäniens. Damit begann wieder eine Leidenszeit für Tausende Banater Schwaben. Doch jetzt betraf es nicht nur sie allein wie 1945, als nur Deutsche zur Zwangsarbeit deportiert wurden. Aus 297 Ortschaften der Banater Grenzzone und des südwestlichen Olteniens wurden 12 791 Familien mit 40 320 Personen – Rumänen, Deutsche, Serben, Ungarn, Bulgaren und andere – in die Baragan-Steppe deportiert. Ein Viertel der Deportierten waren Rumäniendeutsche. Sie mussten 18 Dörfer eigenhändig erbauen und jahrelang unter zwangsaufenthaltsmäßigen Bedingungen leben50. Der Grund dieser neuerlichen Deportation war die Abkühlung des Verhältnisses zwischen Tito, dem Machthaber Jugoslawiens, und der UdSSR. Die Bevölkerung des westlichen rumänischen Banats im Gebiet der jugoslawischen Grenze wurde von der rumänischen Staatsführung als Sicherheitsrisiko eingestuft. Aus diesem Grund wurde von der rumänischen Führung ein Plan zur Säuberung des Grenzgebiets „von politisch unzuverlässigen Elementen“ entworfen.
1956 hatte sich dann der Konflikt zwischen Jugoslawien und der UdSSR entschärft. Zudem musste Rumänien, das der UNO beitreten wollte, vorher die Lager der Baragan-Steppe auflösen, wonach den überlebenden Verschleppten die Heimkehr dann erlaubt wurde.
Während das Deutschtum im jugoslawischen und ungarischen Teil des Banats fast völlig verschwand, konnte es sich im rumänischen Teil trotz Flucht und Vertreibung (1944), Deportation in die Sowjetunion (1945-1949) sowie Umsiedlungsmaßnahmen in die rumänische Baragan-Steppe (1951 – 1956) zunächst noch halten.51
Der Wille der Banater Deutschen, zu bleiben, war aber gebrochen, zumal sich in Bukarest die kommunistische Herrschaft etabliert hatte. Fast alle der noch in Rumänien ansässigen Deutschen wollten danach ihre angestammte Heimat verlassen und nach Deutschland, Österreich oder Amerika auswandern. 1978 vereinbarte die Bundesregierung mit der rumänischen Regierung unter Ceaușescu, dass pro Jahr 11.000 Deutsche ausreisen durften, für die jeweils 10.000 DM gezahlt wurden. Die rumänischen Behörden verlangten von den Ausreisewilligen aber noch 8.000 bis 20.000 DM zusätzlich.
Vor dem Hintergrund der Verschlechterung der allgemeinen gesellschaftlichen Existenzbedingungen, eines verschärften minderheitenpolitisch wirksamen Systemzwanges und einer anhaltenden Wirtschaftskrise kam es daher zu einer verstärkten Aussiedlung der Banater Schwaben in die Bundesrepublik, die in kurzer Zeit Massencharakter annahm, dem auch der Sturz des Ceauşescu-Regimes im Dezember 1989 und die damit einhergehende politische Wende nicht entgegenwirken konnte. Im Banat leben heute laut Volkszählung von 2011 insgesamt 14.523 Personen deutscher Volkszugehörigkeit. Von 1950 bis 2018 wurden insgesamt 430.330 rumäniendeutsche Aussiedler von Deutschland aufgenommen.52
Die Banater Deutschen haben durchweg alle eine schreckliche Vergangenheit hinter sich. Ganze Familien wurden ausgelöscht oder zerrissen. Die Familienbande wurden durch Tod, Flucht und Vertreibung aufgelöst. So hörte ich es auch von zahlreichen ehemaligen Banatern, die ich kontaktierte. Die meisten wussten nicht, wo ihre Eltern, Großeltern, Kinder oder Geschwister geblieben waren. Da zumeist auch jegliche Familienunterlagen verloren gegangen waren, konnten mir nur wenige Personen etwas über ihre Vorfahren berichten.
Den Banater Schwaben stand ein schmerzhafter Neuanfang bevor. Sie kehrten zwar in das Land, aus dem ihre Vorfahren kamen, zurück, aber sie standen vor dem Nichts. Die meisten siedelten sich im süddeutschen Raum an. Landsmannschaftlicher Zusammenhalt und landsmannschaftliche Unterstützung waren gefragt. Die Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V. wurde schon 1950 gegründet mit dem Zweck, den in die Bundesrepublik Deutschland ausgesiedelten Banater Schwaben Hilfestellung bei deren Eingliederung zu geben, die Landsleute im Banat zu unterstützen sowie die Pflege des kulturellen Erbes zu fördern. Heute unterhält die Landsmannschaft gute Beziehungen zum Banat und den dort noch ansässigen Banater Schwaben und arbeitet mit einschlägigen Verbänden und Institutionen weltweit zusammen.
Gedenkfeier an dem Banater Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof in Karlsruhe (Allerheiligen 2019). Auszug aus einer Ansprache von Werner Gilde, Vorsitzender der HOG Billed.
„Im Gedenken an die vielen Menschen aus unserer heimischen Region, die sicher nicht ohne Not ihre Heimat, das Veischedetal, verlassen haben, möchte ich diesen Artikel beenden mit den Worten des Vorsitzenden der Heimatortgemeinde Billed, Herrn Werner Gilde, gesprochen anläßlich einer Gedenkfeier zu Allerheiligen 2019 auf dem Hauptfriedhof in Karlsruhe :
Wir gedenken der Soldaten, die an Fronten gefallen, derer, die vermisst blieben oder in Gefangenschaft verstorben sind.
Wir gedenken in Ehrfurcht aller unserer Toten,
der Ermordeten, der Erschossenen, der Verhungerten.
Wir gedenken der Frauen, Mädchen und Männer,
die nach Russland verschleppt und nicht heimgekehrt sind.
Wir gedenken derer die die Deportation in den Baragan nicht überlebt haben.
Wir gedenken der unzähligen Toten,
denen die Flucht nicht gelang, und die dabei ums Leben kamen.
Wir gedenken: Aller vergessenen und versunkenen Namen, der Toten, die niemand beweint, der Vermissten, deren Geschick wir nicht wissen,
der Verzweifelten, die sich das Leben nahmen.“
49 Wikipedia: Verschleppung von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion: Verschleppung von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion (zuletzt am 20. 12. 2019)
50 Weber, Wilhelm (Heimathaus Billed): Das Schicksal der Deutschen im Banat; siehe auch: heimathaus-billed.de/geschichte
51 Engelmann, Manfred: Die Banater Schwaben. Kurzinformation zur Geschichte der Banater Schwaben in Rumänien. Hrsg.: Landsmannschaft der Banater Schwaben aus Rumänien in Deutschland e. V.
52 Sebaux, Gwenola: (Spät-)Aussiedler aus Rumänien. In: Informationen zur politischen Bildung. Nr. 340/2019, S. 56 ff.
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