Wer kennt ihn nicht, den Japanischen Schnurbaum?

Natürlich ist jeder, der noch in den 70er und 80er Jahren seine Kindheit und Jugend im Banat verbracht hat mit diesem Gehölz aufgewachsen…
Dieser Laubbaum war damals noch allerorten in unserer Banater Heide anzutreffen, obwohl sein natürliches Verbreitungsgebiet der asiatische Raum, von Japan über Korea bis China ist.
Aufgrund der auffallend hellgrün glänzenden Fruchtschoten mit Samen, die durch Einschnürungen getrennt sind - auch Perlschnurbaum genannt, heißt er in der Fachsprache Styphnolobium Japonicum. Auch ist er bekannt als Pagodenbaum und Honigbaum - ein spätblühendes Steppengewächs aus der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler. Ursprünglich gedeiht diese Gattung mit 20 bis 30 Metern Wuchshöhe in Trockenwäldern auf sandigen bis sandig-kiesigen, nährstoffreichen Böden. Da diese wärmeliebende Art sonnige Standorte bevorzugt und nässeempfindlich aber frosthart ist, fand sie in unserer Heimat wohl optimale Bedingungen.
In den ganzen Jahren die wir schon im Raum Mainz leben, habe ich diesen Baum in Deutschland nie bewusst wahrgenommen. Erst während der Blütenpracht im letzten Spätsommer wurde ich beim Gas-Tanken auf dem Hof der Stadtwerke Rüsselsheim darauf aufmerksam, da er mich sofort an meine Kindheit erinnert hat. Seitdem sehe ich diesen imposanten Baum auch hier überall, auf Schulhöfen, in Parks, auf Straßen und Alleen in Mainz und rundum im Hessischen. Lange habe ich vergeblich im Internet danach gesucht - bis ich auf den Namen Sophora Japonica gestoßen bin.

Der ‚Sofra-Baum‘ ist uns doch allen bekannt. Wie die Akazie (eigentlich Robinie), mit graubrauner, knorriger Borke und einem ähnlichen Blattwerk, aber ohne Dornen, war dieser besonders häufig im Banat anzutreffen. Wir erinnern uns an dicke Stämme, mit mächtig ausladenden Baumkronen und sattgrünem Laub im Sommer - spätestens zur Blütezeit auffallend in Aussehen und Duft.
Unsere Ahnen müssen um den Wert dieser Bäume gewusst haben, als besondere Bienen-Nährpflanze und hervorragendem Schattenspender. Wenn im kontinentalen, trockenheißen Hochsommer alles Blühende verdorrt war, sorgte die reiche Blütentracht des Sophora-Baumes bei den fleißigen Honigsammlern nochmals für Vollbeschäftigung. Zu dieser Zeit summte es nicht nur rundum in den Baumkronen, auch darunter rief der intensiv duftende Blütenteppich soweit die Äste reichten, emsige Betriebsamkeit hervor. Dann galt es aufpassen, dass die umherschwirrenden Insekten sich nicht mit einem Stich zwischen die Zehen in Sandalen, zur Wehr setzten. Unvergessen auch, wie sich das Rindvieh auf der Sauerländer Hutweide an heißen Sommertagen, nach dem Tränken am Ziehbrunnen, in den wohligen Schatten des Sophora-Wäldchens zum Wiederkäuen und Ausruhen zurückzog.
Seit Jahrhunderten und bis heute werden Gerichte und Tee aus Blüten des Schnurbaumes in der traditionellen chinesischen Medizin als entzündungshemmende und blutdrucksenkende Mittel verwendet. Auch zu unserer Zeit im Banat wurden Sophora-Blüten für medizinische Zwecke gebraucht. Als etwa Zehnjährige haben wir diese damals an der DCA-Annahmestelle bei Familie Jobba abgeliefert und uns damit die ersten Groschen verdient. Die Blütenstände wurden mit Astscheren auf einem langen Handstiel mit Seilzug geerntet und in Säcken gesammelt. Es kam vor, dass unsere Anlieferung abgewiesen wurde, weil die ‚Ware‘ vom komprimierten Lagern im Hanfsack, über Nacht bräunlich und damit verdorben war. Natürlich gab es auch Konkurrenz durch Sippen aus der nordwestlichen Kaul in Billed, wenn es um die besten Ernteplätze ging. Die haben uns schon mal einen Sack voll Blüten abgenommen und uns davongejagt…

Auch vielen Vögeln diente dieser Baum als Gastgeber und Behausungsspender. Im Geäst der riesigen runden Kronen konnte man oft gleichzeitig mehrere Nester von Wildtauben/Turteltauben (eigentlich Türkentauben) beobachten. Vor allem abends war das Geschwätz der Spatzen in großer Zahl im Laubwerk zu vernehmen. Häufig haben Baumpicker (Buntspechte) ihre Löcher in die dicken Stämme und Äste gehämmert, weithin zu hören an dem knarrenden Geräusch, aber auch erkennbar an den Spänen, die danach haufenweise am Fuße des Stammes lagen. Diese Höhlen wurden später gern von Spreewe (Staren) als Kinderstube genutzt.
Das hat wiederum Lausbuben auf den Plan gerufen, da die Eier der Vögel seinerzeit als begehrte Sammlerobjekte bei den Jungen im Dorf galten. Jeder wollte Eier von noch mehr unterschiedlichen Vogelarten in seiner Sammlung haben. Diese wurden ausgeblasen und nach Sorte auf Fäden aufgereiht. Dann tauschte man untereinander gegen solche, die einem noch fehlten. Beim Nester-Ausheben hatten wir in kurzen Hosen die Beine immer voller Kratzer, vom Klettern auf die Bäume. Dabei gingen schon mal Eier von Höhlenbrütern zu Bruch, da man die geschlossene Hand mit dem Ei schlecht aus dem Astloch ziehen konnte. Beliebte Praxis war, die Eier einem Kumpel ins ausgebreitete Taschentuch zu werfen - meist ging das auch gut… Ein andermal sollte ein Ei im Mund beim Heruntersteigen vom Baum geschont werden. Leider kam es vor, dass es trotzdem zerbrach. Man erzählte sich, der ein oder andere hätte auch eines verschluckt.

Nach der Blüte setzte der Baum gelbgrüne, kahle Hülsenfrüchte an, etwa halb so dick wie Erbsen, mit bis zu sechs Samen. Mädchen im Schulalter hatten zu dieser Zeit ihren Spaß beim Lackieren der Fingernägel. Der ausgedrückte Saft der jungen Fruchtschoten ließ sich wunderbar auf die Nägel streichen und hinterließ nach kurzem Eintrocknen einen schönen Lackglanz.
Als Laubbaum hat der Sophora Japonica dunkelgrün glänzende, bis zu 25 cm lange gefiederte Laubblätter, mit bläulich behaarter Unterseite. Diese sind unpaarig, mit sieben bis siebzehn eiförmigen, einzelnen Blättchen besetzt, wie bei der Robinie, was Mädchen zu einem anderen phantasievollen Spiel anregte. Dabei drehte es sich um die Vorhersage des Familienstandes eines Spielkameraden und ging so: Das Blatt wurde mit einer Hand am Stiel gehalten - die beidseitig aufgereihten Blättchen mit der Spitze nach unten. Mit dem gestreckten Zeigefinger der anderen Hand wurde dreimal hiebartig am Stiel entlang gestreift, mit den Worten: verliebt - verlobt - verheiratet, wobei die am Stiel verbleibende Blätterzahl noch die Anzahl der zu erwartenden Kinder ‘voraussagte‘.
Im Herbst färbten sich die Blätter des Schnurbaumes leuchtend gelb und sorgten dafür, dass nach den ersten kühlen Nächten überall dicke Laubteppiche entstanden. Im Ort wurden samstags beim Kehren vor jedem Haus Blätterberge aufgetürmt, was den Kindern bei schönem Herbstwetter einen Riesenspaß bereitete, darin herum zu toben und diese auseinander zu trampeln. Diese Blätterhaufen wurden aus Banater Ordnungssinn regelmäßig angesteckt, so dass sich Rauchschwaden über dem ganzen Dorf ausbreiteten.
Später hingen die kahlen Bäume voller verschrumpelter Fruchtschoten mit der Konsistenz von Beeren und Rosinen. Diese dienten Staren und Drosseln als Nahrung in der kalten Jahreszeit, bis spät in den Winter. Die nicht verzehrten Samen wurden schwarz-braun und hart, um im nächsten Frühjahr aus der trockenen Schote zu springen und eventuell einen neuen Sämling sprießen zu lassen.

Diese Beobachtungen und Erlebnisse dürften die meisten Landsleute mit mir teilen. Wer bis heute möglicherweise bloß nicht darauf geachtet hat, schaut vielleicht ab jetzt besonders hin - ich schätze, dass vielen dieser sympathische Baum in seinem heutigen Umfeld auch auffallen wird.

Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Japanischer_Schnurbaum
Eigene Foto-Aufnahmen